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Spirituelle Impulse und Anregungen

  • Virtuelle Meditationsgemeinschaft im Advent

    Bertram Dickerhof SJ, November 2017

    Die „virtuelle Meditationsgemeinschaft”, zu der ich in der Adventszeit einlade, besteht darin, durch eine tägliche Zeit des Innehaltens bewusst einen geistlichen Akzent zu setzen: 15 bis 30 Minuten des Sich-Niederlassens und Entspannens, des Atmens, des Sich-selber-Spürens und Verweilens bei dem, was dabei von sich selbst gespürt wird: der Mensch, der ich selber bin, gestattet sich für diese Zeit am Tag der Mensch zu sein, als den er sich vorfindet. Einfach nur sein, was ich im Moment bin, ohne nach Verbesserungen zu streben – in einer Haltung entspannter Wachsamkeit, die sich spürt – den Körper, Gefühle, Stimmungen, die geistige Verfasstheit – und zugleich offen ist für das Ganze. Kein Wächter kann seine Achtsamkeit nur auf einen kleinen Ausschnitt seiner Umgebung begrenzen, er bleibt offen für das Ganze. Das ist Lauschen, Hören auf Gott, und das ist es um so mehr, wenn ich mich wahrnehme mit dem Blick Christi: demütig und liebevoll. Wer das Bedürfnis dazu verspürt, kann Gott auch anreden mit dem, wobei er/sie hier und jetzt verweilt: z.B. „ich bin so traurig, Herr”.

    Wenn die Teilnahme an der virtuellen Meditationsgemeinschaft nicht eine reine Sache der Disziplin werden soll, sondern eine Zeit geschenkter Zuwendung an sich selbst, dann empfiehlt es sich zu schauen, welche Termine, Erledigungen usw. minimiert und vielleicht sogar gestrichen werden können. Weniger! heißt die Devise.

    Die „virtuelle Meditationsgemeinschaft” bildet zwar keine am selben Ort und zur selben Zeit zusammentretende Gruppe, aber eine solidarische Gemeinschaft von Menschen, die sich Innehalten gönnen. Der Einzelne weiß, dass etliche andere im Advent innehalten wie er selbst.

  • Spirituelle Spurensuche

    Bertram Dickerhof SJ, Oktober 2017

    Im nächsten Jahr bietet unser Ashram-Programm neben dem gruppendynamischen Training eine weiteren speziellen Kurs an, Spirituelle Spurensuche, den ich Euch hier vorstellen möchte. Der Extraflyer, den es zu diesem Kurs gibt, hängt unten an.  Bei der Spirituellen Spurensuche handelt sich um einen Jahreskurs, ein Format, mit dem wir sehr gute Erfahrungen machen. Die Teilnahme daran steht allen offen, die das Programm dieses Kurses interessiert und sich darauf einlassen wollen.
    Die Spirituelle Spurensuche hat eine Besonderheit gegenüber unseren sonstigen Kursen: nicht von Anfang an wird durchgehend geschwiegen und 45 min meditiert: die Meditationszeiten steigern sich allmählich, so dass schafft mehr Zeit dafür ist, sich entlang zweier „Schnitte” durch das große Feld spiritueller Fragen miteinander und mit sich selbst auseinanderzusetzen:

    So geht es im ersten Schnitt (26. – 28. Januar 2018) darum, wieso es sich lohnt, den Anfragen des Lebens Raum zu geben, – und wie dies geschehen kann. Was sind solche Anfragen des Lebens? Meistens die Ereignisse oder Entwicklungen, die den eigenen Vorstellungen von sich selbst, Gott und der Welt nicht entsprechen: Enttäuschungen aller Art, Verluste, Krankheiten, Unzufriedenheiten mit sich und der Welt…. Ich glaube, die meisten Leser werden die Liste mit Beispielen aus ihrem Leben erweitern und konkretisieren können. Gewöhnlich streben wir krampfhaft nach einer Lösung. Oder wir resignieren. Oder wir lenken uns ab: Bei diesem Wochenende steht die Überzeugung in der Mitte, dass diese Anfragen des Lebens lohnende Momente des Lebens sind, die zu Chancen werden können. Wie dies geschehen kann, dazu werden Methoden gezeigt.

    Diese Thematik hängt unmittelbar zusammen mit der des zweiten Schnittes durchs spirituelle Feld (04. – 06. Mai 2018)Ist dem Leben zu trauen? – die Gottesfrage. Mit Gott meine ich an dieser Stelle nur ein Unbedingtes, Absolutes, das auch der Buddhismus kennt. Alle Religionen haben das; aber auch Kant, der alle Gottesbeweise hinwegfegte, braucht einen Gott, der eine letzte Gerechtigkeit schafft. Und auch bei Philosophen jüngster Zeit hat „Gott” ein wenig Konjunktur. – Ist also dem Leben zu trauen? Da ist Raum für persönliche Antworten. Vielleicht sind viele skeptisch oder verneinend. Es ist aber auch Raum für Überlegungen, die auf der eigenen Lebenserfahrung sowie den inzwischen gemachten Erfahrungen mit dem täglichen Innehalten basieren: dass sich eine gewisse Art von Vorschussvertrauen lohnt und dadurch Vertrauen und Hoffnung bestärkt werden. Außerdem: was sind die Alternativen zum Vertrauen?

    Mit Reden allein geht es nicht weiter. Es braucht eine Erfahrung. Zu dieser Erfahrung soll ein neuntägiger Kurs verhelfen (13. – 23. September 2018), in dem die Teilnehmenden üben, sich selbst sein zu lassen, wie sie sich jeweils vorfinden, – und dies achtsam, gelassen und liebevoll, – um sich zu bereiten, ihrem Grund zu begegnen. Dieses vorschuss-vertrauende Standhalten bei sich selbst ist wie ein „Sprung in den Brunnen” (Hubertus Halbfas). Vom Weg in die Tiefe ist nur der Beginn sichtbar. Unten soll die Quelle des Lebens sein – aber was begegnet einem auf dem Weg dorthin? Aus der Quelle des Lebens trinkt keiner, es sei denn er erkennt seinen eigenen Grund: das, was sein Leben de facto beherrscht: Leistung, Konsum, Arbeit oder Streben nach Anerkennung, Macht, Erlebnis oder was immer. Damit zugleich werden tiefe Bejahung und Hoffnung erlebt, die es erlauben, sein die Freiheit des Geistes fesselndes Fundament einen Schritt weit loszulassen. – Wochen später gibt es ein Abschlusstreffen, in dem der eigene Weg durch das Jahr „bilanziert” wird.

  • Gruppendynamisches Training im Ashram

    Bertram Dickerhof SJ, September 2017

    Vom 13.-19. Januar 2018 bot der Ashram Jesu wieder einmal ein gruppendynamisches Training an. Dazu ein paar allgemeinere Bemerkungen:

    Die Gruppendynamik wurde von Levin nach 1945 bei einem Demokratie-Seminar in den USA „entdeckt”, als er zufällig auf die Wirksamkeit von Feedback für Gruppen stieß, und daraufhin begann, Feedback als wichtige Methode sozialen Lernens zu nutzen. Heute steht das Wort „Gruppendynamik” sowohl für diese Methode sozialen Lernens als auch für einen Forschungsbereich der Sozialpsychologie, der sich mit den Dynamiken einer Gruppe beschäftigt, also den Kräften, die in jeder Gruppe wirken. Wer diese nicht meistern kann, der wird von ihnen bemeistert.

    Gruppendynamik ist eine basale Methode: sie betrachtet eine Gruppe als System, nicht nur als Ansammlung von Einzelnen; sie hat Ansätze der Aktionsforschung in sich aufgenommen – es geht um (Sprech-)Handeln in der Gruppe – sowie der Encounter Bewegung – „hier und jetzt”-Prinzip, Fokussierung. Ihrerseits ist sie der Mutterboden für die bekannte Themen-Zentrierte-Interaktion (TZI), für Gruppentherapie in ihrer heutigen Form und den Umgang mit den Dynamiken in Organisationen.

    Sich in einer Gruppe zu bewegen, sei es als Teilnehmer, sei es als Leiter, ist nicht durch Theorie allein zu lernen: Es bedarf des Trainings – und damit Mühen und Frustrationen, wie sie auch aus dem Sport bekannt sind. Themen, die in jeder Trainings-Gruppe (TG) eine Rolle spielen, sind z.B.: Anfangssituationen; was ermöglicht bzw. verhindert Leitung; welche Strukturen bedingen welche Prozesse?; verstehen, was das so oft gebrauchte Wort „Prozess” überhaupt bedeutet; die fundamentale Bedeutung von Zugehörigkeit, Macht und Nähe und natürlich die persönlichen Hemmnisse, die es einem Teilnehmenden schwer machen, in seiner Gruppe zurecht zu kommen, also sich einbringen, sich frei und spontan äußern zu können, von anderen verstanden zu werden, Einfluss auszuüben und als Person gehört und wahrgenommen zu werden. Die Gruppe bei Grundübungen im Ashram, die ja manche von Euch kennen, ist keine klassische TG; sie würde etwa als Resonanzgruppe bezeichnet werden.

    Bei Trainings im Ashram hat sich bewährt, abends und morgens zu meditieren (wer möchte) und vom Abendessen bis zum Frühstück zu schweigen. Tagsüber, sowohl in den formellen Seminarteilen, als auch in den übrigen Sunden, im sog. informellen Bereich also, ist Sprechen nicht nur „erlaubt”, sondern notwendig und gewünscht.

    Für mich persönlich war es ein großes Glück, die Gruppendynamik kennen gelernt zu haben. Sie hat mir geholfen, handlungsorientierter, spontaner und direkter zu werden, Konflikte einzugehen, statt sie zu umschiffen, und nicht nur die Worte des anderen zu hören, sondern ihm „mit dem dritten Ohr” zu lauschen. Sie hat meine Angst vor Gruppen gemindert und mir gezeigt, wie die Leitungsrolle wahrgenommen werden kann. Und, ganz wichtig: sie hat mich persönlich nachreifen lassen: ich stieß auf Themen und konnte mich mit ihnen auseinandersetzen, die in meiner Entwicklung zu kurz gekommen waren, weshalb Ängste meine Freiheit fesselten. Für mich als späteren Seminarleiter war Gruppendynamik unabdingbar. Ich habe deswegen, wie auch Petra Maria, die ganze lange Ausbildung zum ausbildungsberechtigten Trainer für Gruppendynamik im entsprechenden Fachverband (DGGO= Deutsche Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsdynamik, früher eine Sektion des DAGG) durchlaufen. Eine Ausbildung, die ich, wie viele andere Kollegen, als die fruchtbarste im Reigen aller praxisbezogenen Ausbildungen empfunden habe. Dennoch: an Gruppendynamik muss man Lust finden; vielleicht ist sie nicht jedermanns und -fraus Sache. Und eine gewisse psychische Belastbarkeit ist nötig. Was sie jedoch auf persönlicher und beruflicher Ebene lehren kann, ist so wertvoll, dass sich ein Versuch mit ihr lohnt, auch wenn dieser Schatz mit einem einzelnen Training allein nicht zu heben ist.

  • Enttäuschung

    Petra Maria Hothum SND, August 2017

    In den letzten Ashram-Kursen tauchte mehrfach das Thema „Enttäuschung” auf. Die Anlässe dafür und die Bereiche, in denen Teilnehmende Enttäuschendes erlebt haben, waren vielfältig.

    So etwa in Beziehung und Partnerschaft, in familiären Kontexten, in beruflichen Gegebenheiten und Entwicklungen, im Scheitern von Projekten und Aufbrüchen verschiedener Art, im Spüren eigener Grenzen, im Erleben von schwer zu akzeptierendem Verhalten anderer sowie eigener – manchmal eingefahrener und wenig lebensförderlicher – Verhaltensmuster. Und über das hinaus, was die Teilnehmenden aus ihrem Alltag mitgebracht haben, bietet auch das Setting des Ashram Jesu selbst in seiner Reduziertheit und Konzentration auf Wesentliches immer wieder Gelegenheiten, Enttäuschung zu erleben. Sei es, dass bestimmte materielle Annehmlichkeiten nicht verfügbar sind oder aber, dass Hoffnungen und Erwartungen, die man an sich, seine Gestimmtheit, den Prozess, die Meditation … hat, sich nicht erfüllen.

    Wie nun mit solchen Enttäuschungen umgehen?

    Ein wichtiger Schritt ist, sich seiner Enttäuschung überhaupt bewusst zu werden, zu merken, wie man an einer Situation, einem Mangel leidet, darüber nicht hinwegkommt, immer wieder vielleicht an eine Grenze stößt, immer wieder vor die Wand läuft. Sich eine solche Wirklichkeit einzugestehen, ist alles andere als einfach oder selbstverständlich. Das Zugeben entsprechender Empfindungen – und wenn auch erst einmal nur vor sich selbst – kann am eigenen Selbstbild kratzen; das Spüren der Unannehmlichkeit, Unerfülltheit oder des Schmerzes stört vielleicht die normalen Abläufe und das reibungslose Funktionieren; unter Umständen kommen Zweifel oder Fragen auf, denen man sich lieber nicht stellen würde aus Angst vor einer Antwort, die nicht zum eigenen Wünschen und Planen passt.

    Entsprechend entwickeln wir normalerweise gerne Strategien der Abwehr, um entweder Enttäuschungen gar nicht an uns heranzulassen oder aber damit einhergehende Erschütterungen möglichst begrenzen und kontrollieren zu können. Dies reicht von Anstrengungen, die Enttäuschung zu überwinden bzw. eine schnelle Lösung des Problems zu finden oder aber um jeden Preis den Status Quo aufrecht zu erhalten über Beschwichtigungen, Erklärungs- oder Entschuldigungsversuche bis hin zu verschiedensten Weisen der Ablenkung.

    Im Ashram Jesu versuchen wir, auf solche Strategien – wenn sie uns denn bewusst werden – zu verzichten, Enttäuschendes wahrzunehmen, dabei zu verweilen und zu lernen, damit zu leben. Indem wir immer wieder üben, das, was ist, nüchtern da sein zu lassen und es zu durchleben, sei es noch so unangenehm, frustrierend oder schmerzlich, kann langsam ein anderer, tieferer Kontakt zur Wirklichkeit, wie sie nun einmal ist, wachsen oder besser gesagt: geschenkt werden. Der Blick kann sich weiten, mit einem Mal werden Facetten erkennbar, die an der Oberfläche zunächst nicht sichtbar waren. Dieses tiefere Verstehen geht oft einher mit einem wachsenden Erkennen von eigenen Anteilen an einer enttäuschenden Situation, vielleicht auch von Zusammenhängen mit der eigenen Lebensgeschichte, die über die aktuelle Enttäuschung hinaus weisen, zugleich aber nicht selten eine Erklärung bieten können für die Heftigkeit der damit verbundenen Empfindungen.

    Auf einem solchen Boden des Wahrnehmens und geduldigen Verweilens kann eine Enttäuschung zur Ent-täuschung werden, „zum Ende der Täuschung durch die Vorstellungen und Hoffnungen des Ego” (B. Dickerhof, Der spirituelle Weg, S. 245).

    Was ist die Wirkung eines solchen Umgangs mit Enttäuschendem?

    So hart und schmerzlich der Abschied von einer Illusion sein kann, die ich mir gemacht habe vom Leben, von mir selbst, einer Beziehung, einer Situation…, hat ein solcher Prozess des Durcherlebens einer ent-täuschenden Wirklichkeit doch letztlich klärende, lösende und befreiende Wirkung. Das Ego verliert an Macht, und das wahre Selbst kommt auf diesem Weg immer mehr zum Vorschein. Aus diesem heraus kann ein Mehr an Annahme des Enttäuschenden möglich werden, was wiederum auch zu differenzierteren, tragfähigeren Lösungsansätzen oder Entscheidungen führt – dort, wo solche anstehen. Und manchmal erwächst aus der Ent-Täuschung eine ganz neue, unerwartete Perspektive, die man so vielleicht gar nicht wünschen und erhoffen konnte, die aber durchaus die eigenen Erwartungen übertrifft.

    In den oben angesprochenen Kursen wurde immer wieder deutlich, wie wichtig beim Durchgehen durch enttäuschende Wirklichkeit neben der Meditation auch andere Menschen sind. Die hörende Präsenz, die Unterstützung und das ehrliche Feedback in der Gruppe haben oft zu hilfreichen Einsichten und Auseinandersetzungen für die jeweils Betroffenen geführt und sie einen Schritt weiter gebracht.

    Unterstützend beim Umgang mit den je eigenen Enttäuschungen war ebenso die Beschäftigung mit dem entsprechenden Kapitel aus Bertrams Buch „Der spirituelle Weg”. Er sieht „Die ent-täuschende Nicht-Annahme von Enttäuschungen” als wichtige Phase auf dem hinabsteigenden Weg an und beleuchtet dies eingehend. In den Kursen haben seine Darlegungen sehr zur Erhellung und Vertiefung der Thematik beigetragen, und auch Ihnen und Euch möchte ich sie sehr empfehlen.

  • Beten

    Bertram Dickerhof SJ, Juni 2017

    Im Nachgang zum letzten Newsletter über die Wohltat des Gebets, möchte ich Euch drei kleine Ergänzungen schicken:

    Erstens:

    Die Frucht der Stille ist das Gebet.
    Die Frucht des Gebetes ist der Glaube.
    Die Frucht des Glaubens ist die Liebe.
    Die Frucht der Liebe ist der Dienst am Nächsten (das Dienen).
    Die Frucht des Dienens ist der Friede!

    — Mutter Teresa

    Diesem Wort entspricht auch meine Erfahrung: wenn der Mensch in der Stille ruhig wird und wieder zu sich kommt, zu Atem kommt, beginnt es ganz natürlich in ihm zu beten: er kann sich öffnen und lernt dabei, einer vertrauenswürdigen und liebenden Gegenwart inne zu werden, die sanft dazu drängt, auch den Mitmenschen in seiner Bedürftigkeit zu gewahren. Wer diesem leisen Zug nachgibt, wird von Frieden erfüllt. Das Schöne dabei: der einfache, gewaltlose, selbstverständliche Prozess, in dem eines aus dem anderen hervorgeht.

    Zweitens: Was heißt Beten? Dazu:

    „Als mein Gebet immer andächtiger und immer innerlicher wurde,
    da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen.
    Zuletzt wurde ich ganz still;
    ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist,
    ich wurde ein Hörer.
    Ich meinte erst, Beten sei Reden.
    Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.
    So ist es. Beten heißt nicht, sich selbst reden hören,
    beten heißt still werden und still sein,
    und warten, bis der Betende Gott hört.

    — Kierkegaard

    In der Tat: viele Menschen verhalten sich im Gebet, wie Kinder mit ihren Wünschen gegenüber ihren Eltern: viele Worte, quengeln, sich ordentlich benehmen, ein paar Vorleistungen erbringen. Wenn Gott sie dann nicht erhört: Schmollen! Genau genommen wollen sie – wie Gott – die Wirklichkeit nach ihren Vorstellungen schaffen. Welche Anmaßung und Ver–rücktheit! Das Leiden an der Wirklichkeit ist auch als Problem des Beters anzusehen, der umkehren sollte, wenn seine Vorstellungen und Erwartungen ihn hindern, in der gegebenen Wirklichkeit Gottes Kommen zu erfahren. Dazu muss er auf die Störungen hören, die diese Wirklichkeit in ihm auslöst, d.h. auf seine inneren Bewegungen achten und dabei verweilen, „warten bis der Betende Gott hört”. Dann kann geschehen, was,

    drittens, Alfred Delp im Gefängnis widerfuhr, als er erkennt:

    Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt ergleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis zu dem Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott hervorströmen. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Der Auftrag ist der, aus diesen Einsichten und Gnaden dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung werden zu lassen. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir oft gesucht haben.

    — Alfred Delp

    Das Leben aus der Stille heraus und dem Hören nach innen und damit in der Gegenwart Gottes – dazu ist der Christ berufen.

  • Die größte Wohltat, die man der Welt erweisen kann

    Bertram Dickerhof SJ, Mai 2017

    Den folgenden Text hat Sr. Gertrud Dahl geschrieben. Sie war 16 Jahre die Leiterin ihrer Gemeinschaft, besuchte den Ashram von Anfang an, hat am Lernweg teilgenommen und meditiert seit einigen Jahren mit einer Gruppe ihrer Schwestern. Sie schreibt:

    „Seit über 20 Jahren begleitet mein Leben Madeleine Delbrêl, die „Mystikerin der Straße” (1904-1964). Für sie, die über 30 Jahre ihres Lebens in Ivry, einer Arbeiterstadt und Hochburg des Kommunismus im Südosten von Paris verbracht hat, war das Gebet die Kraftquelle ihres Lebens. Madeleine Delbrêl spricht dem Gebet eine „unsere Welt verwandelnde Kraft” zu. Sie sagt: «Heute ist beten die größte Wohltat, die man der Welt erweisen kann.»

    Ich versuche eine Deutung dieser Worte, die geprägt ist von meinen eigenen Gebetserfahrungen.
    Das Beten ist zunächst eine Wohltat für mich selbst.
    Eines ist sicher: Gott braucht mein Gebet nicht. Er weiß überdies, was mir fehlt und wie es um mich steht, – besser als ich es selbst wissen kann.
    Gottes wegen brauche ich nicht zu beten, aber ich bete um meinetwegen.
    Je mehr Beten einen festen Platz in meinem Leben hat, desto fester bin ich überzeugt, dass ich mein Leben und alles, was mein Leben wirklich bereichert und letztlich lebenswert macht, selbst nicht machen kann. Das alles ist Geschenk, für das ich offen sein, bei dem ich mitwirken, das ich aber letztlich nicht entscheidend beeinflussen kann. Und ich staune, wie sich Vieles in meinem Leben, auch Schweres und Belastendes, zum Guten wendet.
    Wenn ich vor einem Problem stehe, bringe ich dieses Problem in meinem Gebet vor Gott. Wenn ich dieses Problem nicht sehr schnell und nur nach meinen kurzsichtigen Vorstellungen lösen will, wenn ich also Geduld habe und warte, bis sich von Gott her eine Lösung zeigt, bis sich mir eine andere Sicht auf das Problem auftut, dann kann ich diese Lösung umsetzen – selbst wenn ich dafür wenig Zustimmung bekomme.

    Das Gebet ist nicht nur für mich eine Wohltat, sondern auch für meine Mitmenschen, besonders für diejenigen, für die ich bete. Am spürbarsten ist das bei Schwierigkeiten mit einem Menschen in meiner näheren Umgebung. Zunächst bin ich voller Unmut, Enttäuschung, auch Ärger… Es braucht immer mehr oder weniger Zeit, bis ich mich entscheiden kann, für diejenige oder denjenigen, der mir aus meiner Sicht Schwierigkeiten macht, zu beten. Jedes Mal neu kann ich die Erfahrung machen, dass sich dann meine Beziehung zum Positiven hin ändert. Ich verliere die Fixierung auf das Fehlverhalten der anderen, kann auch meinen Anteil an der gestörten Beziehung sehen. Es „renkt sich zwar nicht in jedem Fall alles wieder ein”, aber ich werde befreit von meiner Befangenheit, von meinem festen Bild, das ich von meinen Mitmenschen hatte.

    Das Gebet ist eine Wohltat für mich selbst, für meine Mitmenschen und schließlich für das, was weltweit geschieht. Belasse ich es nicht dabeivon Armut, Hunger, Krieg oder Terror nur zu lesen oder in den Medien zu hören, sondern bete auch für diese Menschen, dann wächst meine Solidarität mit ihnen. Es wächst in mir die Bereitschaft, gegen diese weltweite Not etwas zu tun; das zu tun, wozu ich jetzt in der Lage bin. Vor dieser Not kann ich meine Augen nicht mehr verschließen.
    Und ich werde meine Augen auch nicht vor der Not in meiner näheren Umgebung verschließen können.
    Im Blick auf die weltweite Not empfinde ich Dankbarkeit, ohne jedes Verdienst hier leben zu können, wo die Lebensbedingungen gut sind.
    Wie mein, unser Beten politische Entscheidungen beeinflussen kann, bleibt verborgen. Doch glaube ich, dass das Gebet in diesen Anliegen zwar nicht immer ”unsere Gebetswünsche” erfüllen wird, aber es wird nicht ohne Wirkung bleiben.

    Jeden Tag bete ich mit meinen Mitschwestern in der Kapelle unseres Mutterhauses am Morgen und am Abend das Stundengebet. Auch das ist eine Weise, Madeleine Delbrêls Überzeugung zum Ausdruck zu bringen: «Heute ist beten die größte Wohltat, die man der Welt erweisen kann.»

    Mir ist bewusst geworden, für wie entscheidend ich das Beten, gerade auch in der Ashram-Weise, für das Leben halte: sonst ist dem Menschen keine Selbstbestimmung möglich, und ein Christ erfährt nichts von dem, was er glaubt.

  • Der Ashram im Alltag

    Bertram Dickerhof SJ, April 2017

    Im letzten Newsletter habe ich dargestellt, dass der Ashram meine Antwort auf die Frage ist, wie man als Christ leben kann, und wichtige Elemente aufgezählt. Vielleicht haben einige bei manchen der aufgezählten Elemente gedacht: „das ist für mich unmöglich!”

    Dazu möchte ich sagen: die Antwort des Ashram steht ja nicht am Beginn meines Weges, sondern eher an seinem Ende. Er ist auch nur eine Antwort, meine, die in meinem Leben mehr und mehr gereift ist. Wo es mir möglich war, habe ich die Entscheidungen über mein Leben so getroffen, dass ich mehr das leben konnte, was mir als Mensch und Christ wichtig schien. Ich will sagen: das Entscheidende ist, einen Weg zu gehen und dabei nach Möglichkeiten zu suchen, wie der inneren Sehnsucht mehr Raum im Alltag gegeben werden kann, wie sie gelebt werden kann.

    Das ist in unserer Gesellschaft nicht leicht. Wie beantwortest Du, liebe Leserin und lieber Leser die Frage, wie Du als Christ lebst? Was es in unserem Leben so schwierig macht, um nur zwei Aspekte zu nennen, sind die hohe Belastung, ja Überforderung des Einzelnen und das hohe Maß an Ablenkung. Überforderung, nur ein paar Stichworte: die hohe Arbeitsintensität, die geforderte Erreichbarkeit auch im Privaten, Frauen mit der Dreifachbelastung von Berufsarbeit, Haushalt, Kinder; die Kinder haben heute 9 und 10 Stunden Unterricht; zu meiner Schulzeit sehnten wir Schüler meist schon in der 5. Stunde das Ende herbei; die hohen Ansprüche an Besitz, Karriere, Lebensgenuss; immer mehr Menschen erleben, dass nicht reicht, was sie verdienen können und fürchten, abgehängt zu werden – das alles hält in Trab, drückt aufs Tempo, versklavt im Funktionieren. Erhöhung der Arbeitslast war schon im Ägypten des Alten Testaments das Mittel, um Sklaven ruhig zu halten: während sie arbeiten, sind sie beansprucht, wenn sie nicht arbeiten sind sie erschöpft. Es führt dazu, die Beziehung zu sich selbst zu verlieren, die Beziehung zu anderen zu verlieren und die Beziehung zu Gott zu verlieren. Die Frage ist, wieweit wir überhaupt schon die Fähigkeit zur Beziehung eingebüßt haben: Hand aufs Herz: wann hast Du den letzten substantiellen Dialog geführt; wann warst Du da, nicht nur körperlich, sondern präsent, mit Aufmerksamkeit, Interesse und Offenheit für andere?

    Ablenkung: ist die Kehrseite der vielen Möglichkeiten, die unsere Zivilisation uns zur Verfügung stellt. Gerade wenn wir eh schon erschöpft sind, verfallen wir ihnen……

    Das Ganze hat uns einen Wohlstand gebracht, um den uns viele Nationen beneiden. Doch geht z.B. auch die Erderwärmung mit ihren globalen Folgen, vor allem auf unsere Rechnung: wir produzieren die Flüchtlinge, die dann vor unserer Tür stehen.

    Darum meine ich, dass Zeiten des Innehaltens, des Spürens seiner selbst, und – darauf basierend – die Fähigkeit sich selbst zu bestimmen, heute Grund legend sind, um den Weg aus dem Hamsterrad heraus und in Beziehungen zu finden.

  • Was den Ashram Jesu charakterisiert

    Bertram Dickerhof SJ, März 2017

    Der Ashram Jesu ist entstanden als Antwort auf eine Frage, die mich seit gut 40 Jahren bewegt: wie kann man in unserer Gesellschaft als Christ leben? Die wichtigsten Elemente der Antwort möchte ich nennen; sie prägen den Ashram

    1. materiell einfacher, bescheidener. Wir leben in Deutschland auf einem Niveau, das weder allen Erdbewohnern zugestanden werden kann, noch möglich ist: die Ressourcen würden nicht ausreichen und das Ökosystem völlig zusammenbrechen. Unser Lebensstandard ist ungerecht und unsolidarisch. Um ihn freiwillig reduzieren zu können, braucht es andere Quellen von Zufriedenheit.
    2. Mehr oder weniger kosten die Gäste im Ashram eine solche andere Quelle der Zufriedenheit. Der Quellgrund ist ein entschleunigtes, achtsames Leben in Stille mit wenig Ablenkung: Das ermöglicht, in jedem Augenblick ganz da zu sein und in Kontakt mit sich selbst im Ganzen, im Sein zu leben. Es gibt einen Geschmack von Einheit mit sich selbst, mit anderen, mit der Natur und ihren Abläufen, mit Gott. Dieser achtsame, bewusste Kontakt mit dem eigenen Inneren vor einem offenen Horizont ist gleichzeitig eine Waffe gegen aufkommende Wünsche, Unruhe, Spannungen, schlechte Stimmung, schwere Gefühle und Antreiber aller Art. Er ist notwendig dafür, dass die Person ihr Leben selbst steuern kann, und nicht von anderen gelebt wird.
    3. Hilfreich ist die Struktur und damit der feste Platz, der der Meditation, der Betrachtung der Schriften, dem Dienst an den anderen und dem persönlichen Austausch gegeben wird.
    4. Einen zentralen Platz in dieser Struktur hat das Gebet. Ich verstehe es als Hören auf Gott, insofern die Meditierenden, offen für die eigene Wahrheit hier und jetzt, bei ihren inneren Bewegungen verweilen und sie unterscheiden. Dieser Weise der Meditation wohnt dieselbe Bewegung inne wie der Eucharistie, die sonntags gefeiert wird: empfangen, was das Leben bringt – die inneren Bewegungen sind „Abdruck” des Lebens auf das Innere, –sich selbst verwandeln lassen, und das in Christus Verwandelte austeilen an die Menschen und die Welt.
    5. Christsein heute ist für mich nur noch vorstellbar in Offenheit gegenüber anderen Religionen: Menschen aller Zeiten und aller Kulturkreise haben nach Gott, nach der letzten Wirklichkeit, nach einer Möglichkeit der Bewältigung der Lebensprobleme, z.B. von Krankheit, Alter und Tod, gesucht. Ihr Suchen und ihre Erfahrungen können uns Christen anregen, die Botschaft Jesu besser zu verstehen und zu leben, und die Vorbehalte gegenüber dem Fremden zu verlieren.

    Diese Elemente kommen in allen unseren Angeboten zum Tragen, am deutlichsten in den „Grundübungen”. Wo das Alltagsleben mit seinen Ereignissen die eigene Identität ankratzt, schafft es einen Zugang zu ihrem Grund. Der Aufenthalt im Ashram enthüllt das Illusionäre und Egomane dieses Grundes und ermöglicht, die Identität mehr in Gott, dem grundlosen Grund zu gründen. Das ist eine Befreiung für den Menschen, der sonst gezwungen ist herzustellen, was er als unabdingbar für sein Selbstgefühl hält.

  • In Gott verankert

    Bertram Dickerhof SJ, Januar 2017

    Viele zum Teil sehr persönliche Rückmeldungen aus der virtuellen Meditationsgemeinschaft im Advent, bestätigten das „besondere Gefühl“, in einer solchen Gemeinschaft zu sitzen, bzw. mit anderen bewusst Entschiedenen „zusammen in der Adventszeit einen Gebetsweg zu gehen“ bzw. „unterwegs zu sein.“ Den Morgen anzufangen im bewussten Kontakt mit dem Menschen, der ich selber bin, habe Wirkung auf den gesamten Tag: „Ich spüre, wie gut es mir tut, den Tag zu beginnen, indem ich innehalten darf… Ruhiger geht es dann, entspannter, gelassener und offener für das, was mir begegnet, … und ich merke immer wieder, wie wichtig Struktur (hier die feste Zeit) für mich ist.“

    Diese Erfahrung ist keine singuläre. Die 15, 20 Minuten solchen Innehaltens am Morgen sind wie eine Verankerung: Ich weiß um mich, spüre mein Befinden, meine Wünsche und Gefühle, das mir Wichtige. Vielleicht komme ich sogar in einen wirklichen Kontakt mit mir selbst und erlebe mich dabei gewollt und geliebt in einem absolut offenen Raum: „Das tägliche Gebet/ Meditieren ist mein Lebenselixier. Ich kann mir meinen Alltag überhaupt nicht vorstellen ohne diese Rückbindung an Gott….“ Verankert lebt man dann seinen Tag, das Gute und das Schlechte, aus einem tiefen Grund, aus Gottes Grund.

    Wer das nicht tut, der ist den an der Oberfläche herrschenden Kräften preisgegeben: der Überforderung; den verlockenden spiegelnden und bunten Oberflächen, die einen wegführen von sich selbst; der Verunsicherung durch immer mehr und immer schwieriger zu lösende Fragen unserer globalen Welt; der Angst, wie es mit diesem Planeten und seinen Bewohnern weitergeht.

    Auch dieses neue Jahr wird bewältigt werden müssen. Was an der Oberfläche an Wünschen und Phantasien entsteht, taugt dafür jedoch nichts … – so sagt es Hilde Domin’s (1909 – 2006) Gedicht, das wir im Silvesterkurs gelesen haben:

    BITTE

    Wir werden eingetaucht
    und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
    wir werden durchnäßt
    bis auf die Herzhaut.

    Der Wunsch nach der Landschaft
    diesseits der Tränengrenze
    taugt nicht,
    der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
    der Wunsch, verschont zu bleiben,
    taugt nicht.

    Es taugt die Bitte,
    daß bei Sonnenaufgang die Taube
    den Zweig vom Ölbaum bringe.
    Daß die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
    daß noch die Blätter der Rose am Boden
    eine leuchtende Krone bilden.

    Und daß wir aus der Flut,
    daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
    immer versehrter und immer heiler
    stets von neuem
    zu uns selbst
    entlassen werden.

    — Hilde Domin

    Die schwierigen Stunden des Lebens werden uns versehren, wenn wir sie überhaupt an uns heranlassen und uns nicht ablenken; dass sie uns versehren und zugleich „immer heiler zu uns selbst entlassen werden“, wir also mehr wir selbst werden, mehr in uns selber gründen, das ist ohne Zeiten des Innehaltens nicht zu erfahren. Mir ist es ein großes Anliegen Euch zu sagen: nehmt Euch Zeit zum Innehalten! Aus Liebe zu sich selbst. Jeden Tag 15 oder 20 Minuten früher aufstehen, Morgentoilette, und dann gleich in Kontakt gehen mit der eigenen Wirklichkeit vor Gottes, “ … um immer versehrter und immer heiler stets von neuem zu sich selbst entlassen zu werden.“

  • Weihnachten

    Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2016

    Was für eine Welt, in der wir Weihnachten feiern! Sollen wir uns nun in Tannenduft und Kerzenschein und Träume von Frieden und Freude flüchten – oder flüchten wir vor allen diesen weihnachtlichen Bräuchen und Worten, um die Spannung von Sehnsucht und enttäuschender Realität nicht erleiden zu müssen? Vielerorts Willkür, Gewalt, Betrügereien großen Stils, Korruption, Populismus, Menschenverachtung, Völkermord, dazu die grassierende Überforderung. An dieser Welt Rand war Weihnachten schon immer: der Immanuel – Gott mit uns, – Jesus, wurde nicht in Rom, nicht einmal in Jerusalem, nicht einmal in einer menschlichen Behausung geboren, wie Lukas schreibt.

    Nein, Weihnachten scheint nicht in diese Welt zu passen! Eigentlich kann es auch anders nicht sein: Der „Gott mit uns” und unsere erlösungsbedürftige Welt sind Gegensätze. Gottes Friede und Gottes Freude sind durch menschliche Mittel nicht herstellbar. Diese taugen oft nicht einmal für eine Waffenruhe.

    Von innen her befreit und erfüllt den Menschen Gottes Heil. Weihnachten kommt erst an Ostern zum Ziel. Und Ostern gibt es nur durch den Karfreitag hindurch. Während wir wie alle Säugtiere beim Anschein einer Gefahr angreifen oder fliehen oder uns totstellen und damit das Störende und die Spannungen von uns fern zu halten suchen, hat der Immanuel freiwillig und bewusst sein Kreuz getragen, d.h. alles, Spannung und Tod und Angst, an sich herangelassen, sich alledem gestellt, alles von innen her durchlebt. Während wir die Oberfläche und das Äußere zu unserem Bezirk machen, da wir glauben, sie beherrschen zu können und dort sicher zu sein, hat Er Kontrolle und Sicherheit gelassen in restlosem Vertrauen, so wie das Kind in der Krippe sich vorbehaltlos und offen dem Leben überlässt, und die Tiefe zu seinem Reich gemacht.

    Von dort, aus dem getragenen Kreuz, kommen wirklicher Friede, wahre Freude, echte Liebe. Von dort erwachsen dem Leben Perspektiven und Handlungsimpulse, die ewiges Leben in unsere Zeit inkarnieren. Wir feiern, dass Gott uns diesen Weg eröffnet hat. Aber wir müssen ihn auch gehen.

    Vielleicht dürfen Euch folgende Zeilen durch Weihnachtszeit und Neues Jahr begleiten:

    Man muss den Dingen
    die eigne, stille,
    ungestörte Entwicklung lassen,
    die tief von innen kommt
    und durch nichts gedrängt
    oder beschleunigt werden kann:
    Alles ist austragen – und
    dann gebären…

    Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
    und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
    ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte.

    Er kommt doch!

    Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
    die da sind,
    als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
    so sorglos, still und weit …

    Man muss Geduld haben gegen das Ungelöste im Herzen,
    und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben. …

    Es handelt sich darum, alles zu leben.

    Wenn man die Fragen lebt,
    lebt man vielleicht allmählich,
    ohne es zu merken,
    eines fremden Tages
    in die Antwort hinein.

    — Rainer Maria Rilke

    „Es handelt sich darum, alles zu leben.”

    Lasst uns also mit Zuversicht durch diese Tage gehen.