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Spirituelle Impulse und Anregungen

  • Virtuelle Meditationsgemeinschaft im Advent

    Bertram Dickerhof SJ, November 2016

    Auch in diesem Jahr lade ich wieder zur „virtuellen Meditationsgemeinschaft” ein: d.h. dazu, den Advent nicht ganz vom „Weihnachtsgeschäft” bestimmen zu lassen, sondern vom 1. Advent bis Heilig Abend einen geistlichen Akzent zu setzen durch eine tägliche Zeit des Innehaltens: 15 bis 30 Minuten des Sich-Niederlassens und Entspannens, des Atmens, des Sich-selber-Spürens und Verweilens bei dem, was ich von mir selbst spüre: der Mensch, der ich selber bin, gestattet sich für diese Zeit am Tag der Mensch zu sein, als den er sich vorfindet. Einfach nur sein, – statt nach irgendwelchen Veränderungen zu streben. Sein, wie ich jetzt und hier bin, nichts weiter. Sein, wie ich von Gott hier und jetzt geliebt und gewollt bin. Ich halte das für Gebet.

    Wer über diese Worte hinaus eine Anleitung braucht, findet sie z.B. in unseren „Spirituellen Impulsen und Anregungen”, gleich unter den Meditationsanleitungen oder auchin meinem Buch. Wer zusätzlich das Bedürfnis nach einem geistlichen Wort verspürt, wird unter vielen Möglichkeiten fündig z.B. in der Bibel beim Propheten Jesaja, Kapitel  9;11;35;40-55 oder unter den Schriftbetrachtungen und Predigten auf unserer Website.

    Wer mitmachen will und sich bei mir meldet, dessen Namen und E-Mail-Adresse werde ich an alle anderen weitergeben, die sich ebenfalls bei mir melden, so dass die „virtuelle Meditationsgemeinschaft” Namen bekommt, auch wenn nicht alle jedem bekannt sein werden. Sie bilden zwar keine am selben Ort und zur selben Zeit zusammentretende Gruppe, aber eine solidarische Gemeinschaft von Menschen, die sich Innehalten gönnen und zumuten. Eure Teilnahme müsst Ihr mir bis spätestens Mittwoch, den 23. November bekunden, so dass wir am 1. Advent starten können.

  • Vergebung

    Bertram Dickerhof SJ, Oktober 2016

    In den letzten Kursen bin ich immer wieder einmal über das Thema „Vergebung” gestolpert. Sei es, dass jemand seinem Vorgesetzten dessen unengagierte Haltung nicht vergeben konnte oder seinem Ehepartner nicht dessen ganz anders geartete Interessen, was oft auch geringes Verständnis für die eigenen Belange einschließt; sei es, dass Eltern so gar nicht mit den Entscheidungen ihrer Kinder einverstanden sein können oder jemand unzufrieden ist mit seinem eigenen Leben und dem, was er erreicht hat.  Solche Situationen werden manchmal schöngeredet, manchmal bagatellisiert. Die Kränkung soll nicht gespürt werden. Die mit ihr verbundenen Gefühle wären ein übler Schlag ins Kontor der eigenen Identität.

    In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass die nicht gespürten Gefühle ausagiert werden und andere zu Opfern der eigenen Verletztheit machen. Wo aber die Wahrheit stärker ist als die eigenen Abwehrmechanismen, beleuchtet sie Trauer und Bitterkeit, Wut, vielleicht auch Scham, Minderwertigkeit, Rachegefühle. Ich erinnere mich, wie all diese Gefühle mit Wucht immer wieder hochkamen, wenn ich durch irgendeinen Auslöser wieder an die entsprechende Situation erinnert wurde: durch zufällige Erwähnung eines der Beteiligten, durch nichtsahnende Nachfragen lange nicht mehr getroffener Bekannten; durch alte Notizen, auf die ich stieß: sofort war die ganze Misere wieder lebendig und, erstaunlicherweise auch lange Zeit später, so frisch wie am ersten Tag.

    Irgendwann fiel mir auf, dass ich litt an der Erregung, in die ich jeweils geriet. Die Sache war wie sie war, das Unrecht war geschehen, und es begann bereits das Gras darüber zu wachsen. Niemanden interessierte es mehr, nur ich hielt daran fest und litt. Als der Wunsch stärker wurde, diese Gefühle loszulassen, um wieder inneren Frieden zu finden, begann ich darum zu beten, vergeben zu können. Wieso die Sache mich so tief hatte verletzen können, welche meiner fundamentalen Erwartungen dabei frustriert wurden, das war mir schon im Laufe der Zeit klarer geworden. Nun versuchte ich, mein Agieren damals aus den Augen meines Gegners zu sehen. Ich schlüpfte in seine Haut, um zu verstehen, welche Interessen ihn damals leiteten, unter welchen Zwängen er stand, was für ihn als Person mein Verhalten bedeutete. Langsam, langsam wurden meine Gefühle ruhiger. Jahre später konnte ich vergeben.

    Vergebung ist nicht eine fromme Veranstaltung, Ansinnen des Über-Ichs oder eines etwas antiquierten Gottes. Vergebung ist die Waffe der Opfer, um die Herrschaft des erlittenen Unrechts im eigenen Leben zu brechen; um frei zu werden und den inneren Frieden wieder zu finden; um nicht den „Täter-Opfer-Täter-Reigen” weitertanzen zu müssen,– wie Konrad Stauss in seinem empfehlenswerten Buch dies nennt ( Stauss, K.: Die heilende Kraftder Vergebung, Kösel 2010). Ein weiterer Schritt in diesem Prozess kann dann der Versuch der Versöhnung mit dem Gegner sein, die Aussprache in der Perspektive gegenseitiger Vergebung.

  • Gipfelerfahrung und alltägliche Praxis

    Bertram Dickerhof SJ, September 2016

    Die Tage werden spürbar kürzer. Unsere Morgenmeditation beginnen wir schon seit einiger Zeit in tiefer Dunkelheit, und es dunkelt wieder, wenn wir zur Abendmeditation hinaufsteigen. Manchmal brennt schon die Kerze, sonst ist alles dunkel. Wie kostbar ist doch das Licht! Im Koran, beschreibt Mohammed eine Vision von Gott als Licht:

    „Gott ist das Licht der Himmel und der Erde.
    Sein Licht ist einer Nische vergleichbar, in der eine Lampe ist.
    Die Lampe ist in einem Glas.
    Das Glas ist, als wäre es ein funkelnder Stern.
    Es wird angezündet von einem gesegneten Baum, einem Ölbaum,
    weder östlich noch westlich, dessen Öl fast schon leuchtet,
    auch ohne dass das Feuer es berührt hätte.
    Licht über Licht. …”

    — Koran, Sure 24

    Wir haben diesen wunderschönen Text in einer Schriftbetrachtung gelesen. „Licht über Licht.” Seine geheimnisvolle Quelle, einfach und verehrungswürdig, ist jedoch nicht unmittelbar zu erfassen. Nur ihren Widerschein sehen wir, nur die vom Licht erfüllte Nische. Wie diese Nische ist die ganze Schöpfung von Gottes Licht und Glanz durchflutet. Doch die Schöpfung verhüllt ihn zugleich. Anders gesagt: Alltag, Mühen, Glück und Unglück, Freude und Leid: alles ist Kleid des Lichtes, – auch der Tod.

    Hin und wieder uns gewöhnlichen Menschen eine solche Gipfelerfahrung vergönnt. Halten lässt sie sich nicht. Doch sie stärkt die Sehnsucht, in dieser Letzten Wirklichkeit zu leben. Wie? Der Koran fährt so fort, dass „weder Handel noch Kaufgeschäft [diese Menschen] ablenken vom Gedenken Gottes, von der Verrichtung des Gebets und der Entrichtung der Abgabe, [dass sie] einen Tag fürchten, an dem Herzen und Augenlicht umgekehrt werden…” „Handel und Kaufgeschäft” war der Alltag des Mekkaners von damals. Es geht also um Menschen, die einen Alltag mit all seinen Anforderungen zu bewältigen haben, jedoch nicht so in dessen Dynamiken verstrickt sind, dass sie auf das Gedenken Gottes vergäßen und die religiösen Pflichten unterließen. Das dauernde „Gottesgedenken” – der „dikhr” – ist der Pfad des islamischen Mystikers. Er beginnt bei der Disziplin der täglichen Gebetszeit(en) und entwickelt sich zu einem dikhr im Herzen, der sich schließlich selbst dabei vergisst. Diese Strophen von der „Höchsten Vollendung” weisen in eine ähnliche Richtung:

    „Vergessenen des Geschaffenen
    Gedenken des Schöpfers
    Gerichtetsein auf das Innere
    und leben in der Liebe des Geliebten.”

    — Johannes vom Kreuz

    Abstand zu den Alltagsgedanken also, offen und unvoreingenommen dasein im Kontakt mit dem Inneren; dabei von Liebe erfüllt werden, aus der das Leben gelebt wird. Eine starke Hilfe dabei ist das Bewusstsein des Todes, „an dem Herzen und Augenlicht umgekehrt werden”. Im Tod geschieht endgültig, worum der Mensch sich täglich bemühen soll: Augen und Aufmerksamkeit werden nach innen gerichtet statt nach außen, und das im Herzen Verborgene wird offenbar. Die Freiheit, über den Tellerrand des Eigenen hinauszublicken und Verantwortung für das Ganze des Lebens zu übernehmen, wird alles entscheiden. Lasst uns das nicht vergessen!

  • Sommerauszeit im Ashram Jesu

    Petra Maria Hothum SND, August 2016

    Erstmals hat im Ashram Jesu eine 16-tägige „Sommerauszeit” stattgefunden, die gerade zu Ende geht. Sie diente dazu, Erholung und Entspannung mit der Reise nach innen und der Einkehr bei sich selbst zu verbinden; zu leben in der Kraft des Bei-Sich-Selber-Seins, die den Ashram umgibt, mit dem Freiraum zur eigenen Gestaltung. Für über 20 Personen war dieses Angebot so attraktiv, dass sie daran teilgenommen haben. Manche kamen zu einem zweitägigen Hineinschnuppern in den Ashram, andere zu einem verlängerten Wochenende, wieder andere blieben fünf bis acht Tage, manche die gesamte Zeit und darüber hinaus als Teil 30tägiger Exerzitien. Wie es jeweils für sie passte, nutzten unsere Gäste die ihnen seitens des Ashram angebotene Struktur: täglich drei Meditationszeiten und gemeinsame Mahlzeiten am Morgen und Mittag und Selbstverpflegung aus der Ashram-Küche am Abend, wöchentlich zwei Gruppengespräche zur Meditationspraxis und den sonntäglichen Gottesdienst sowie die Möglichkeit von Einzelbegleitung.

    Und wie wars? Wir meinen: gut! So gut, dass wir 2018 wieder eine Sommerauszeit anbieten wollen. Unsere Einschätzung wird bestätigt von den Teilnehmenden, die wir für den Newsletter um Rückmeldungen gebeten haben. (Eine Stimme steht jeweils stellvertretend für mehrere ähnliche): „Durchatmen nach einer aufregenden, intensiven Zeit der Suche nach meinem Element. In Stille sein dürfen, so wie ich gerade dastehe, mit allem, was in mir ist. Und endlich mal nicht reden müssen. Keinem erzählen müssen, wer ich bin, was ich mache, was ich habe. Und keiner stellt Fragen, auf die ich keine Antwort geben möchte. Wie gut das tut!” Wohltuend war die Freiheit, „der eigenen Spur, den notwendigen Bedürfnissen selbst folgen und den Tag gestalten zu können”. Und eine andere Stimme: „Alles hat Angebotsform. Ich fühle mich frei, eine Meditation auszulassen, um eine längere Wanderung durch die sonnendurchflutete, blühende Natur zu unternehmen, nehme mir Zeit, den Reihern bei der Jagd an den Fischteichen zuzusehen. Auf einem anderen Spaziergang genieße ich ein intensives Gespräch und freue mich dann, wieder in die Stille des Ashrams einzutauchen.”

    Genau diese Freiheit stellte allerdings auch die Frage, „wie ich dieses Angebot gestalten könnte: Als Exerzitien? Oder mehr als Erholung? Oder beides? Wenn ja: so rum oder so rum? Bzw.: warum eigentlich scharf trennen? Wie wär’s denn mit ‚im Fluss’? – Genau so erlebe ich’s nun.” Eine weitere Herausforderung für alle, auch die Leitung, lag im steten Wechsel der Gruppe: fast jeden Tag Neuankünfte und Abschiede. Doch musste diese fließende Gruppe den eigenen Prozess nicht stören: „Ich bin dankbar, dass ich diese ganze Zeit hier sein darf und so zur Ruhe kommen, mich sammeln kann und einen intensiven Prozess erlebe. Es tut gut, dass einige ebenso kontinuierlich dabei sind, andere wechseln: die Abgereisten bleiben noch mit im Sinn, die Neuen werden erwartet; all das spielt sich gut ineinander ein, auch praktisch.” Trotz Wechsel und Schweigen hat man offenbar nicht nebeneinander her gelebt: „im wohltuenden Schweigen viele freundliche, liebevolle Gesten und Begegnungen erleben … mit einem Gast einen Spaziergang durch Felder und Wiesen machen, lachend und schwatzend.” (Auf dem Ashram-Gelände herrschte Schweigen.) Und ein anderer Gast spricht davon, „aufgehoben in der Gemeinschaft” zu sein. Und: „Es ist gut, dies alles zusammen mit den anderen zu erleben. Gemeinsam meditieren, essen, kleine Begegnungen. Froh, nicht allein diese Wunder zu sehen – hören – riechen – schmecken.”

    Am Ende überwiegen Dankbarkeit und Freude, sich – vielleicht trotz mancher Bedenken – auf diese Auszeit eingelassen und körperliche und seelische Erholung erfahren zu haben: „Mit Furcht im Herzen kam ich hier an – in der Stille. Ein Meer von Zeit lag vor mir – was sollte diese Zeit bloß füllen? Dankbar verlasse ich heute diesen Ort und empfinde jeden Augenblick, der mir noch bleibt, als kostbar. Auf Wiedersehen!”

  • In Kontakt mit sich selbst sein

    Petra Maria Hothum SND, Juli 2016

    Für viele von uns bringt der Sommer durch Ferien und Urlaub eine Unterbrechung der alltäglichen Routine mit sich. Vielleicht begeben wir uns an andere Orte, in einen anderen Modus und können wir die Aufmerksamkeit auf anderes richten, als dies unter Alltagsbedingungen möglich ist. Eventuell beschert uns diese Zeit auch die Gelegenheit, manche Kontakte zu beleben, zu intensivieren oder auch neu zu knüpfen. Und hoffentlich gilt dies in besonderer Weise für einen besonders grund-legenden Kontakt: den zu uns selbst, zu unserem eigenen Inneren.

    In Kontakt sein mit sich selbst: dies hört sich selbstverständlich an, ist es jedoch ganz und gar nicht. Wie oft bemerken wir kaum etwas von uns, nehmen gar nicht wahr, wie es dem Menschen, der wir selber sind, gerade geht, was ihn antreibt, bewegt, wie es gerade um ihn bestellt ist. Wie oft sind wir derart beschäftigt mit allem Möglichen im Außen, dass wir überhaupt nicht mitbekommen, was in unserem Inneren eigentlich vor sich geht. Mitunter erleichtert uns dies vielleicht sogar das äußerliche Funktionieren, auf Dauer aber schaden wir uns selbst damit. Denn dieser Kontakt mit dem eigenen Inneren ist lebens-notwendig. Ohne ihn können wir menschlich und geistlich nicht wachsen und reifen und verfehlen letztlich unseren eigenen Weg, unsere wahre Bestimmung.

    Im Zusammenhang mit dieser Thematik fallen mir immer wieder einmal die eindrücklichen Worte von Angelus Silesius ein:

    Halt an, wo laufst du hin? Der Himmel ist in dir.
    Suchst du ihn anderswo, du fehlst ihn für und für.

    — Der Cherubinische Wandersmann, 1675

    Anhalten, innehalten, bei sich einkehren und bei seiner Wirklichkeit verweilen – darum geht es im Ashram Jesu. 
Und der Prozess des Anhaltens ist dabei nicht zu unterschätzen. Er kann sehr mühevoll und schwierig sein oder gar unmöglich erscheinen, gerade dann, wenn wir im Außen ordentlich Fahrt aufgenommen haben, unter Druck stehen, angetrieben werden von Ab- und Anhängigkeiten unterschiedlichster Art … Leichter scheint es dann zu sein, fortzufahren wie gehabt, sich sozusagen weiter im immer schneller werdenden Hamsterrad zu drehen. Es läuft ja irgendwie – äußerlich gesehen vielleicht sogar recht erfolgreich! Hingegen erfordert es einiges, dieses Rad anzuhalten und sich der Frage zu stellen, wohin man denn eigentlich läuft, ob man dort wirklich hin möchte bzw. wohin es einen wirklich zieht. Denn diese Frage ist unbequem, sie bringt u.U. Mangel, Unstimmigkeiten und Empfindungen ans Licht, bei denen auszuhalten alles andere als einfach ist. Gut möglich, dass wir von daher letztlich ganz froh sind über manche Erwartungen, Gegebenheiten, Zwänge von außen, die unser Angetrieben-Sein rechtfertigen, ja unbedingt erforderlich zu machen scheinen. Es fragt sich, ob nicht auch hier Angelus Silesius den eigentlichen Kern des Problems mit folgenden anderen Versen aus dem „Cherubinischen Wandersmann“ treffend erfasst:

    Nichts ist, was dich bewegt; du selber bist das Rad,
    das aus sich selbsten läuft und keine Ruhe hat.

    — Der Cherubinische Wandersmann, 1675

    Mein Wunsch ist, dass diese Sommerzeit für uns Momente des Anhalten- und Ruhen-Könnens bereit hält, Momente, um bei uns einzukehren, um in Kontakt zu sein mit sich selbst und zu verweilen bei der eigenen Wirklichkeit – und dass wir dies nicht nur als mühevoll erleben, sondern auch als öffnend im Blick auf den Himmel in uns selbst!

  • Den entscheidenden Schritt wagen

    Bertram Dickerhof SJ, Juni 2016

    Auf dem Katholikentag wurden natürlich auch viele spirituelle Methoden vorgestellt. Aber die sind nicht das Entscheidende. Worum es auf dem Weg wirklich geht, ruft folgender Text von Louis Lallement SJ (1578 – 1635) in Erinnerung: „Über dem Feilschen, ob wir uns Gott restlos schenken wollen, lassen wir Jahre verstreichen, ja oft ein ganzes Leben. Wir können uns nicht entschließen, das volle Opfer zu bringen, behalten uns eine Menge Bindungen, Pläne, Wünsche, Hoffnungen und Ansprüche vor und wollen uns ihrer nicht entäußern, um so in die völlige Nacktheit des Geistes einzutreten, die uns fähig macht, von Gott restlos in Besitz genommen zu werden. … Unter dem Druck der Eigenliebe, verblendet von Unwissenheit und durch falsche Befürchtungen gehemmt, wagen wir den entscheidenden Schritt nicht.“

    Den entscheidenden Schritt wagen! Denjenigen existentiellen Schritt, zu dem Gott mich ruft. Doch dazu muss ich es wagen, seinen Ruf an mich heranzulassen, mich frei machen vom Lärm und Getriebe des Alltags. … Den entscheidenden Schritt wagen, in dem ich loslasse und mich entblöße, um mit Gott im selben Haus zu wohnen.

    Menschen, die diesen entscheidenden Schritt gewagt haben kennen auch den Kampf, der dabei zu kämpfen, die Angst, die zu überwinden ist: Moses, der gegen Ende seines Dialogs mit dem „Ich-bin” am brennenden Dornbusch aus Angst zurückschreckt vor seiner Aufgabe, – was Gott nicht gelten lässt: der Weg aus der Angst verläuft durch die Angst hindurch.
    Von Jeremia, dessen Leiden die Bibel schildert, ist uns die Klage überliefert (Jer 20): „Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören…  . Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag, ein jeder verhöhnt mich. … Sagte ich aber: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, so war es mir, als brenne in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinem Innern. Ich quälte mich es auszuhalten und konnte nicht.” Und von Jona wissen wir, wie er versucht, dem Ruf Gottes davonzulaufen, den Preis ahnend, den diese Berufung auch ihn kosten wird.

    „Den Schritt tun“, der jetzt für mich dran ist, – das ist es, worauf schließlich alles ankommt. Das ist es auch, was einer zukünftigen Kirche zur Geburt verhelfen wird. Diese lässt sich nicht am grünen Tisch entwerfen, sie entsteht durch Menschen, die, hörend auf Gott, die entscheidenden Schritte in ihrem Leben tun und eindeutig werden.

  • Schaffen wir das?

    Elisabeth Vosen, Mai 2016

    Auch wenn der Flüchtlingsstrom zur Zeit deutlich nachgelassen hat, ist das Flüchtlingsthema nach wie vor in aller Munde und wird weiterhin kontrovers diskutiert. Im gelebten Alltag hängt viel von der Einstellung der Bevölkerung vor Ort zu den dorthin zugewiesenen Flüchtlingen ab. Auf die Zuweisung von Flüchtlingen hat man wenig Einfluss und die Zweckentfremdung von Sporthallen stößt keineswegs immer auf das Verständnis der bisherigen Nutzer. Dennoch bietet oft die konkrete Situation vor Ort – wie in unserem Fall – durchaus auch reale Gestaltungsmöglichkeiten, die das Klima im Ort positiv beeinflussen können.

    In meinem eher wohlhabenden und gutbürgerlichen Wohnort westlich von Köln (12.000 Einwohner) kümmern sich zurzeit über 60 Ehrenamtliche allen Alters um die derzeit etwa 300 hier mit uns im Ort lebenden Flüchtlinge. In Spitzenzeiten haben 180 Asylsuchende in Zelten in unserer Mehrzweckhalle gelebt, derzeit sind es noch 40. In der Obdachlosenunterkunft wohnen 22 Personen, die anderen, vor allem Familien mit Kindern, konnten nach und nach über den Ort verteilt oder im Nachbarort in Wohnungen einziehen, die von der Stadt für sie angemietet wurden. Die Flüchtlinge kommen aus 17 Nationen. Es sind mehrheitlich junge Männer, darunter auch eine Gruppe unbegleiteter minderjähriger Jungs, die von einer Organisation rundum die Uhr zuverlässig betreut werden, sowie junge Familien mit bis zu sieben Kindern.

    Neben der städtischen Unterstützung wird nun schon über ein knappes Jahr viel ehrenamtliche Hilfe geleistet: Fast alle Flüchtlingsfamilien haben eine eigene Begleiterin, die ihnen durch den Alltag hilft. Fast 20 Personen kümmern sich um das erste Vermitteln der deutschen Sprache, teilweise mit parallel angebotener Kinderbetreuung. Es gibt eine Kleiderkammer, differenzierte Hausaufgabenbetreuung, eine wöchentliche Sprechstunde für alle möglichen Angelegenheiten, Fußball- und Basketballtraining und eine Fahrradwerkstatt. Einige pensionierte örtliche Handwerksmeister haben eine kleine „Lehrwerkstatt“ für Holzarbeiten im Keller des alten Jugendheims aufgebaut, die derzeit leider aus Versicherungsgründen wieder geschlossen ist. Einmal pro Woche gibt es ein Angebot nur für Frauen, mit Kochen, Backen, Basteln, Handarbeiten und dabei so nebenher etwas Deutsch lernen. Alle zwei Wochen findet ein gut besuchtes Begegnungscafé im Wechsel mit dem Nachbarort statt, wo Einheimische und Flüchtlinge zusammen kommen und sich allmählich und unverbindlich kennen lernen können. Alle Fäden laufen in einer ökumenischen Nachbarschaftshilfe zusammen, finden weitestgehend in kirchlichen Einrichtungen statt und werden von Ehrenamtlern koordiniert. Staat und Kirchen geben Zuschüsse. Die Bevölkerung unterstützt großzügig und zuverlässig mit Geld- und Sachspenden, eine Internetplattform gibt bekannt, wo was gebraucht wird. Klagen und Gerüchten, die das Zusammenleben betreffen, wird nachgegangen, sobald sie bekannt werden und bei Bedarf wird entsprechend deeskalierend interveniert. Ortsansässige Übersetzer besprechen mit den Flüchtlingen immer wieder, wie das Leben in Deutschland funktioniert und welches Verhalten man hier von ihnen erwartet.

    All dieses Vorgehen ist ein Hineintasten in ein allen Helfern unbekanntes Terrain nach dem Muster learning by doing. Manches verläuft nicht wie geplant oder erhofft, weil „gut gemeint” alleine noch nicht zum Ziele führt. Es gibt auch immer wieder Pannen, entstanden durch Missverständnisse und Unkenntnis auf beiden Seiten. Aufgrund der sprachlichen Schwierigkeiten und auch der Unerfahrenheit der Engagierten wird zwar viel für Flüchtlinge getan, jedoch noch wenig mit ihnen. Auch scheint es so zu sein, dass es in den vielen Heimatkulturen der Flüchtlinge nicht so üblich ist, Menschen zu helfen, mit denen man verwandtschaftlich nicht verbunden ist. Umso mehr freuen sich die Helfer darüber, dass sich nach und nach die ersten Flüchtlinge helfend mit einbringen. Sie engagieren sich in der Fahrradwerkstatt, helfen anderen beim Übersetzen und unterstützen einander tatkräftig beim Umzug. Zum persischen Neujahrsfest (Nouruz) hatten die Flüchtlinge Ehrenamtliche und interessierte Nachbarn eingeladen. Der Raum war entsprechend hergerichtet, es wurde auf geliehenen Instrumenten Musik aus der Heimat gespielt und getanzt und gesungen. Dank einer Spende des Fördervereins haben die Flüchtlinge für alle ein vielfältiges und leckeres persisches Essen zubereitet. Wie selbstverständlichen haben sie anschließend alle zusammen aufgeräumt.

    Besonders als die Mehrzweckhalle voll belegt war, kam es dort von Zeit zu Zeit zu Spannungen, Streit und Gewaltsamkeiten unter den Flüchtlingen. Alte traditionelle Streitigkeiten zwischen verschiedenen religiösen Gruppen und Volkszugehörigkeiten wurden reaktiviert, vor allem gegen Afghanen. Dunkelhäutige Flüchtlinge scheinen in der sozialen Rangordnung ganz unten zu sein. Oft war Streitschlichten angesagt, was schwierig war, da die Helfer aus dem Sprachengewirr meist überhaupt nicht erkennen konnten, worum es ging. So hat dann auch mehrfach die Polizei eingreifen müssen.

    Mitbürger, die schon lange im Ort leben und ursprünglich ebenfalls aus diesen Ländern kamen, unterstützten die Arbeit der Ehrenamtlichen zunächst nur zögerlich. Durch gemeinsame Sprache erkennen sie ja viel schneller und genauer, wen sie da jeweils vor sich haben und sind je nach dem entsprechend zurückhaltend. Häufig ist es im Rahmen der Diskretion hilfreich, von ihnen zu erfahren, was die Flüchtlinge ihnen berichten. In sehr vielen Fällen wurde z.B. den Flüchtlingen von den Schleppern sofortige Arbeit und eine schöne Wohnung in Deutschland versprochen. Um gleich ein Haus für die Familie zu bekommen, musste noch zusätzlich gezahlt werden. Von daher versteht sich auch, mit welchen Erwartungen manche Asylsuchende hierhergekommen sind. Sie wollen hier einfordern, wofür sie die Schlepper bereits bezahlt haben. Erst so nach und nach dämmert ihnen, dass sie aufs Übelste betrogen worden sind. Das Geld für die Flucht wurde oft von Verwandten und Freunden zusammengeliehen und die drängen nun auf Rückzahlung und setzen die Familie unter Druck. Manch junger Mann hat die Balkanroute zur Abenteuerreise nach Deutschland genutzt. Aus der perspektivlosen Heimat heraus macht es auch nichts, nun hier perspektivlos und längerfristig in Turnhallen und Sammelunterkünften zu sitzen. Mit dem Muster wie man zu Hause überlebt hat, könnte man es auch hier versuchen. Außerhalb der heimischen sozialen Kontrolle und aus Langeweile ist es vielleicht verlockend verschiedenes auszuprobieren: Diebstahl, Schwarzfahren, Alkohol und auch Rauschgift. (Dass Rauschgift hier so teuer ist, haben die Schlepper leider auch nicht gesagt.) So ist für manch einen jungen Mann der Weg ins Kriminelle nicht sehr weit.
    Es gibt von einzelnen Abenteurern bereits enttäuschte Anfragen, was man tun muss, damit man wieder nach Hause kann. Leider nimmt kaum ein Herkunftsland seine geflohenen Staatsbürger problemlos wieder auf.

    Seit den Geschehnissen in der Silvesternacht im benachbarten Köln hat sich die Stimmung hier auch unter den Flüchtlingen verändert. Die politischen Flüchtlinge, die gekommen sind, um endlich in Frieden und angstfrei leben zu können, und bereits begonnen haben sich zu integrieren, distanzieren sich weit und energisch von den Vorfällen in der Silvesternacht. Sie verstehen nicht, wieso man die Täter von Silvester nicht endlich zurück schickt. Stattdessen erleben sie, wie infolge deren Fehlverhaltens nicht nur unterschiedslos alle Menschen mit Migrationshintergrund misstrauisch beäugt werden, sondern sie sich sogar auch gegenseitig sehr misstrauisch begegnen, sofern sie sich nicht persönlich kennen.

    Das Erlernen der deutschen Sprache ist für die, deren Asylgesuch anerkannt wurde, Pflicht. Leider wird es für sehr viele zu einer frustrationsreichen Angelegenheit. Die staatlich anerkannten Sprachkurse folgen einem strengen Einheitsraster, bei dem auf die Lernvoraussetzungen und persönlichen Gegebenheiten der Teilnehmer fast keine Rücksicht genommen werden kann. Es sind innerhalb einer vorgegebenen Stundenzahl vorgegebene Lernziele zu erreichen. Die Bildungsvoraussetzungen, die die Flüchtlinge mitbringen, sind de facto jedoch extrem unterschiedlich. Einige können auch in ihrer Muttersprache nicht lesen und schreiben. Unsere Schriftzeichen sind vielen weitgehend unbekannt.  Und wenn dann noch grammatische Strukturen zu verstehen sind, wird es besonders schwer.
    Hier ist viel Enttäuschung auf beiden Seiten vorprogrammiert. Einige Flüchtlinge geben völlig überfordert auf und nehmen die damit verbundenen finanziellen Einbußen in Kauf. Dann heißt es von offizieller Seite schnell: Die Flüchtlinge wollen ja gar nicht.

    Im Kleinen gesehen freue ich mich an der Entwicklung „meiner“ syrischen Familie, die ich seit über einem Jahr begleite. Sie ist 2014 über Libyen mit einem Holzboot mit 300 anderen Menschen über das Mittelmeer gekommen, wo sie nach 13 angstvollen Stunden von einem Frachter aufgelesen und nach Sizilien gebracht wurden. Von dort ging es mit dem Zug über Mailand nach Deutschland. Das hat für 2 Erwachsene und 2 kleine Kinder insgesamt 10.000 Euro gekostet. Im Februar 2014 war das Umziehen von Lager zu Lager in Deutschland zu Ende und die Familie erhielt in meinem Wohnort eine Wohnung zugeteilt. Inzwischen ist ihr Asylantrag anerkannt worden, und alle atmen auf. Der 20jährige Bruder der Frau hat es im Sommer 2015 über die Türkei und die Balkanroute bis hierher geschafft und lernt mit Fleiß und Ehrgeiz sehr schnell Deutsch. Die sechsjährige Tochter hat im Kindergarten so gut und zügig Deutsch gelernt, dass für den Schulstart im Sommer keine sprachlichen Schwierigkeiten mehr zu erwarten sind. Die Familie hat im Haus guten Kontakt zu den anderen Bewohnern und der gerade einjährige hier geborene Sohn kann jetzt laufen. Sauberkeit und Ordnung in diesem syrischen Haushalt mit drei kleinen Kindern lassen nichts zu wünschen übrig. Ich habe die syrische Küche kennen und schätzen gelernt und bin als Frau bei der Familie auch dann willkommen, wenn der Mann nicht zu Hause ist.

    Des Weiteren freut es mich, dass die so unterschiedlichen Teilnehmer und Teilnehmerinnen in meinem freiwilligen Sprachkurs nebenbei auch lernen, respektvoll miteinander umzugehen. Inzwischen können sie sich einigermaßen alltagstauglich auf Deutsch verständigen. Mit Händen und Füßen habe ich von ihnen z.B. schon viel erzählt bekommen über die derzeitigen Lebensumstände im zerbombten Aleppo und von den ständigen Gräueltaten der Taliban in Afghanistan.
    Dabei habe ich mal wieder erfahren, dass Integration am leichtesten im kleinen persönlichen Bereich stattfinden kann, und es dafür immer wieder offene Begegnungen braucht. Die schwierige deutsche Grammatik interessiert meine Schüler nur notgedrungen, wenn ich jedoch in einfachen Worten von meinem Leben in Deutschland und von meiner Familie erzähle, hören sie mit offenen Augen und Ohren zu. Und umgekehrt ist es genauso. Nach und nach lernen beide Seiten mit dem zu agieren, was schon geht. Realität und Vorstellung beginnen sich anzunähern, das Kennenlernen und Achten der anderen Kultur bahnt sich einen gemeinsamen Weg. Man bekommt eine erste Idee davon, wie die hier ankommenden Flüchtlinge aus den unterschiedlichen Heimatkulturen so denken und fühlen, und welchen Halt ihnen das Verbundensein mit ihrer Herkunftskultur und mit Menschen gleicher Volkszugehörigkeit bietet. Besonders deutlich wurde mir das in der Zeit des vergangenen Ramadan. 

    Nebenbei habe ich auch bemerkt, dass in meinem eher noch flüchtlingsfernen örtlichen Bekanntenkreis mit großem Interesse das Engagement unserer örtlichen Flüchtlingsinitiative verfolgt wird. Durch das Erzählen darüber mag für manchen interessierten Zuhörer das Fremde der Flüchtlinge ein kleines bisschen weniger fremd und bedrohlich erscheinen. Und der eine und die andere fragen nach einer Weile, ob sie uns auf diese oder jene Weise ein bisschen unterstützen könnten.

    Können wir das schaffen? Heißt die Frage nicht auch: Wollen wir das schaffen?

    Inzwischen heißt es wohl auch schon: Wir müssen das schaffen! Wir im gemütlichen Westen haben zu lange nichts wissen wollen von der Not in anderen Teilen der Welt. Nun kommen diese Menschen aus Not zu uns, erst die Kriegsflüchtlinge und bald auch die Klimaflüchtlinge. Es wird nicht funktionieren, dass wir uns unsere Gemütlichkeit erhalten können während die Welt um uns brennt. Die Hoffnung, verschont zu werden, taugt nicht (Hilde Domin). Und noch etwas: Unser Volk hat sich im vergangenen Jahrhundert weltgeschichtlich gesehen nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Wären Pegida und Co nicht, ob es dann in diesem Ausmaß ein Engagement für die Flüchtlinge geben würde? Nun haben wir zumindest die Chance, es diesmal besser zu machen. Achtsam, gelassen und liebevoll kann man erste kleine Schritte versuchen im Bereich dessen, was gerade ist und was und wie´s gerade geht. Dazu wünsche ich uns Bereitschaft, Phantasie, Geduld, Ausdauer und Zuversicht.

  • Ostern

    Bertram Dickerhof SJ, April 2016

    Nach meinem Erleben waren dieses Jahr Karwoche und Ostern im Ashram eine besonders „runde” Sache. In der Feier der Osternacht am Samstag Abend erzählten Teilnehmende von Erfahrungen, auf Grund derer sie glauben: Erfahrungen, die notwendig etwas mit Auferstehung Jesu zu tun haben müssen, wenn es stimmt, dass ohne die Auferstehung Jesu der Glaube sinnlos ist, wie Paulus schreibt (1 Kor 15,7). Etliche vermittelten etwas von einem im Innersten der Person Angerührt-, Gemeint- und Bejaht-Sein, im Innersten, wo alles ungeschminkt so ist, wie es ist, – so wie der am Pfahl hängende und daher von Gott Verfluchte von Gott unbedingt bejaht wird, d.h. aufersteht.

    Die Einsetzung der Eucharistie am Gründonnerstag deutet die Passion Jesu als ein Geschehen „für” die Jünger. Die Passion Jesu reißt die Jünger in ihre eigene Passion, in der ihre Illusionen über Jesus als politischen Messias, ihre Zukunftsperspektiven, ihre Selbstüberschätzung („und wenn ich mit dir sterben müsste – ich werde dich nie verleugnen” (Mk 14,31)) sterben. Rumi hat schon recht, wenn er Sterben als die Bedingung für Auferstehung ansieht. Die Jünger können Auferstehung Jesu nicht erfahren, ohne selbst „gestorben”, am Nullpunkt ihrer Existenz angekommen zu sein.

    Doch darf diese Ermöglichung des Osterglaubens nicht als Zweck oder Ziel des Todes Jesu missverstanden werden. Eher kann man sagen: Jesus stirbt, wie er stirbt, „ohne (irdisches) Warum”. Das drücken die Synoptiker damit aus, dass Jesus im Gehorsam gegenüber dem Vater stirbt. Der Vater: das ist ja kein anderer als Jesus selbst, kein „Gott-Ding”, kein „Gegenüber” (Objekt). Der Vater ist Jesus (und auch uns) innerlicher als sein Innerstes, der geheimnisvolle Abgrund in ihm selbst, aus dem er lebt. Aus der Grundlosigkeit dieses Abgrunds zu leben, heißt lieben. „Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung.” (Joh 13,1). So stirbt Jesus „ohne Grund” in Liebe, und stirbt gerade auf diese Weise für die Jünger, denen sein Tod ein Verstehen dessen ermöglicht, was vor allen Gründen und Zwecken liegt.

  • Kreative Hoffnungslosigkeit

    Alfons Gierse, März 2016

    Als Eheberater erlebe ich immer wieder, dass Paare vor mir sitzen, die miteinander in ein schier unauflösbares, wirres Knäuel von Streit und Konflikt verwoben sind. Sie halten zäh am Konflikt fest und lassen nicht locker, obwohl sie von sich sagen, dass es ihnen nicht gut geht und sie ihr Leben als unglücklich betrachten. Dazu wenden sie ganze Arsenale von Strategien an: Sie teilen Ereignisse und Aussagen ein in Kategorien von richtig und falsch, von gut und schlecht; jede Person beharrt auf ihrem Recht; es gibt eine ausgeprägte Tendenz zu begründen und zu rechtfertigen und einen Hang zu idealisieren und abzuwerten. Auf die Frage, ob diese Strategien ihnen hilfreich waren, um zufriedener und glücklicher zu werden ernte ich fast durchgehend ein Nein. Es ist kaum vorstellbar, warum das Paar dann einen Vorteil daraus ziehen sollte. Wozu also halten sie daran fest?

    Vorwürfe und Streit halten Paare zusammen. Wenn nur einer von beiden einlenken würde, so die Hoffnung von beiden Seiten, wäre alles gut. Hinter dem Konflikt versteckt sich also ein Ideal von Harmonie, Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit. Wenn nur wieder alles so wäre wie früher. Würde auch nur einer von beiden die Idee aufgeben, den Partner zur Änderung zu bewegen, würde all die Wut und Bitterkeit ins Leere laufen. Das aber schafft Verunsicherung und Angst.

    Die Hoffnung ist an dieser Stelle Teil des Problems und nicht der Lösung. Auch die Emmausjünger drücken auf dieser Ebene ihre Hoffnung aus: „Wir dachten, das er – Jesus – Israel erlösen würde”. Dabei hatten sie möglicherweise ihr Ideal von Erlösung vor Augen, nämlich die Wiederherstellung des Reiches Israel in seiner weltlichen Macht und Herrlichkeit. Innerhalb dieser Sicht auf die Dinge bleibt nur das Scheitern, bleibt Jesus im Grab, abgeschlossen vom Leben durch einen schweren Verschlussstein.

    Aber die Emmausjünger gehen einen Schritt weiter. Sie reden über all das miteinander, was sich ereignet hatte. Sie tauschen ihre Geschichten aus und befragen sich gegenseitig. So aber bringen sie sich innerlich in Kontakt mit dem, der ihnen wirklich wichtig war im Leben und der sie tief im Herzen berührt und bewegt hatte. Wo sie das Leiden des Messias als Teil seiner Lebenswirklichkeit begreifen lernen und offen werden dafür, ihre Verzweiflung und Trauer und ihre Angst zu spüren und da sein zu lassen, öffnet sich eine neue Lebensperspektive: kreative Hoffnungslosigkeit als der innere Ort, an dem ich meine eigenen Vorstellungen vom Leben loslasse und das annehme, was ist.

  • Der spirituelle Weg

    Bertram Dickerhof SJ, Januar 2016

    Im März wird mein Buch „Der spirituelle Weg. Eine christlich-interreligiöse Lebensschule“ bei Echter erscheinen. Ich möchte Euch hier einen kleinen Einblick in den Inhalt geben. Er besteht aus folgenden Kapiteln:

    I. Die zweite Bekehrung
    II. Der Schritt auf dem spirituellen Weg

    1. Von außen nach innen – erstes Moment des spirituellen Schrittes
    2. In die Tiefe – zweites Moment des spirituellen Schrittes
    3. In der Tiefe
    4. Von innen nach außen – drittes Moment des Schrittes auf dem spirituellen Weg

    III. Der spirituelle Schritt und das Evangelium
    IV. Der Weg
    V. Ashram Jesu

    Das erste Kapitel schildert die Geburtsstunde des Ashram Jesu am Ganges. Das zweite ist das Hauptkapitel: es stellt den spirituellen Schritt als eine kreisförmige Bewegung dar, die „außen“ beginnt, bei den Begegnungen und Begebenheiten des Lebens, aktuellen und biografischen, auf deren Nachhall im Inneren es dann, zweitens, zu lauschen gilt: auf die inneren Bewegungen also, die jene auslösen, auf Gefühle, Gedanken, Wünsche. Diese Wendung nach Innen, vor allem aber das Durchleben des Ausgelösten, stellen eine wahre Herausforderung dar. Sie bedeutet nämlich, sein Leben nicht vor allem mit Ablenkungen und vermeidenden Zerstreuungen zu leben, sondern im Bewusstsein der eigenen Wirklichkeit: wie es wahrhaft um einen jetzt und hier bestellt ist. Solche Annahme der eigenen Wahrheit disponiert dafür, dass in der Tiefe so etwas wie ein Durchbruch geschehen kann: die eigene Lebensgrundlage in ihrer bisherigen Form stirbt, sie bricht; der so Getroffene fällt in die Tiefe und verspürt in seinem Sturz eine ihm begegnende, ihn unbedingt haltende und zu sich selbst befreiende personale Kraft. Deren nüchtern lassende Offenbarung ist von solcher Art, dass der Stürzende sie spontan bejaht und mächtig das Leben bei ihr und in ihr ersehnt. Verbunden mit dieser Erfahrung ist eine Sendung nach außen, eine Aufgabe, eine Entscheidung, ein Verhalten, was immer, in dessen Ausführung etwas von der mitgeteilten Liebe, Freude, Ruhe und Wesentlichkeit in die Welt getragen wird.

    Während das zweite Kapitel darlegt, dass ein so verstandener spiritueller Schritt auch im Sufismus, im Buddhismus und Hinduismus zu finden ist, zeigt das dritte Kapitel, wie sehr dieser spirituelle Schritt dem Evangelium entspricht und insbesondere bei christlichen Mystikern zu finden ist. Das vierte Kapitel sieht im Lernen von Beziehung und im Annehmen von Enttäuschungen die wesentlichen Stationen, um in Geduld und Vertrauen immer mehr aus der Quelle des Lebens und der Liebe leben zu können. Und das letzte Kapitel beschreibt, wie der spirituelle Schritt in einer Grundübung im Ashram Jesu verwirklicht ist.

    Das alles ist nicht meine Erfindung, sondern ein Fazit meiner Lebens- und Glaubenserfahrung, die deshalb auch immer wieder zur Sprache kommt, um das Geschilderte zu illustrieren.