Menü Schließen

Ostern

Bertram Dickerhof SJ, April 2018

Die Heiligen drei Tage des Sterbens und Auferstehens Jesu haben in diesem Jahr eine stille Freude, eine Zuversicht und eine Perspektive bei mir hinterlassen. Das Thema „Spannung” hat sich mir als „Megathema” des Evangeliums und des Osterfestes gezeigt: Spannung liegt über dem letzten Abendmahl durch die nahe Stunde der Passion, um die Jesus weiß, und die Anwesenheit des Verräters, mit dem Jesus das Mahl teilt. Jesus musste Spannung zulassen, wenn er sich auf die Bitten der Menschen einließ, in die Konflikte mit Pharisäern hineinging und mit seinen kleingläubigen und unverständigen Jüngern auf dem Weg war. Jesu Lehre mutet den Menschen Spannung zu: sich versöhnen und vergeben, Liebe selbst gegenüber dem Feind, Kranke und Gefangene besuchen, Kleidung, Obdach und Essen mit denen teilen, die dessen ermangeln, und handeln wie der barmherzige Samariter, der sich in seinen Geschäften hat stören lassen. Nichts davon ist möglich, ohne sich zu überwinden. Das Evangelium kündet von vielfältigen Spannungen, es mutet Spannung zu und es kulminiert in Spannung: am Kreuz ist Jesus total ausgespannt.

Das Kreuz des Auferstandenen lehrt uns zu sehen, dass Spannung ein Megathema im Leben eines jeden Menschen ist. Das Leben steht in Spannung zum Tod, der seine Präsenz in den kleineren und größeren Verlusten enthüllt, die jeden Menschen im Lauf des Lebens treffen: Verluste an Geld, Vermögen, Schönheit, Jugend, Wünschen und Chancen, an Vorstellungen, die sich als Illusionen erweisen, an Beziehungen, an Gesundheit, Unbeschwertheit… Oft lassen wir diese vielfältigen Gespanntheiten des Lebens gar nicht als solche an uns heran. Fast automatisch fliehen wir davor oder kämpfen spontan dagegen an, genauso selbstverständlich, wie die Jünger bei der Verhaftung Jesu fliehen „müssen” oder die Menschen vor dem Kreuz Jesu, Gebildete und Ungebildete, ohne Zweifel überzeugt sind, dass ein Jesus, der nicht die Macht hat, vom Kreuz herabzusteigen, sich also aus der Spannung zu befreien, unmöglich der wahre Messias sein könne. Doch Jesus geht mit den Spannungen des Lebens ganz anders um: er lässt sich freiwillig in sie hineinnageln, er leidet sie aus bis zum Ende, bis der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei reißt, bis er in die Herrlichkeit der Freiheit verwandelt ist, zu sein, wer er selbst in Wahrheit, vor Gott, ist.

Im Johannesevangelium (Joh 20,19-29) werden die Umstände der Ostererscheinungen vor den Jüngern und acht Tage danach vor Thomas, der sich zuvor nicht im Kreis der zehn anderen Jünger aufgehalten hatte, beide Male ähnlich geschildert: die Jünger haben sich eingesperrt, Jesus kommt, tritt in die Mitte, spricht den Friedensgruß. Den Durchbruch zum „Sehen des Herrn” bewirkt das alles noch nicht. Der Sieg der Osterfreude und des Osterglaubens wird dadurch bewirkt, dass Jesus ihnen seine Wunden zeigt. Die Jünger haben sie wohl nicht sehen können, er muss sie ihnen zeigen. Und erst da brechen sich die Erkenntnis des Herrn und die Freude Bahn.

Die verschlossene Tür deute ich als Zeichen für die Spannung, in der sich die Jünger befinden und aus der sie nicht heraus können. In der angespannten Gruppe findet nun durch das Eintreten Jesu ein Prozess statt: es entsteht eine Bewegung („er kommt”), die ihre Beziehungen erfasst, das Zwischen – „er tritt in ihre Mitte” – vielleicht so, dass sie beginnen sich zu trauen, ihre Spannung in Worte zu fassen und das Gespräch ihnen Erleichterung verschafft („er sagt: Friede sei mit euch”)? Ihr Gespräch wird Erleichterung und Loswerden der Spannung als Thema und Ziel haben. So können sie seine Wunden aber nicht sehen. Er muss sie ihnen zeigen. Da erkennen sie sich selbst im gekreuzigten Auferstandenen wieder, erkennen sie, dass sie in Spannung sind und sie tragen dürfen und müssen, wie Jesus freiwillig sein Kreuz getragen hat; dass die Spannung nicht weg gemacht werden muss, dass sie weder verkehrt noch schlecht ist. Sie entspricht nicht der Auffassung der Vielen vom Leben und sie ist nicht angenehm. Das Annehmen der Spannung befreit vom Sisyphos-Kampf, das Leben spannungsfrei zu bekommen, was es jedoch nicht ist. In Wahrheit ist das Durchleben der Spannung, die das Leben bringt, der Weg zu seiner Vollendung: in der Herrlichkeit der Freiheit zu sein, was es in Wahrheit ist, nämlich Schöpfung der Liebe Gottes.

Es trifft meine Erfahrung, dass der Auferstandene seine Wunden zeigen, sie aktiv offenbaren muss, damit man selbst sich darin erkennen kann und darüber die Erlaubnis bekommt, die eigenen Spannungen nicht weiter bekämpfen, nicht verdrängen, nicht lösen zu müssen, sondern sie durchleben zu dürfen – bis zum Ende, bis zu dem Punkt, an dem sie sich von innen her lösen und offenbaren, was zu tun ist. Das ist eine erlösende Botschaft: Die vielfältigen Spannungen des Lebens dürfen durchlebt werden. Sie sind Katalysatoren eines wahreren, auferstandenen Lebens in Gott. Bei mir löst das eine tiefe Freude und tiefen Frieden aus: das Ende der Kämpfe ist in Sicht. Das Schreckliche verliert seinen Schrecken, wenn ich mich damit in den Wunden des Auferstandenen spiegeln kann.