Petra Maria Hothum SND, Juni 2021
„Jesus sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.“ (Mk 4,26-29)
Mich beeindrucken Schlichtheit und Klarheit dieser Worte Jesu und der Haltung des Mannes, der Samen auf seinen Acker sät. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dieser Mensch lege nach vollbrachter Aussaat die Hände in den Schoss und es kümmere ihn nicht mehr, was auf seinem Acker vor sich geht. Der Samen keimt und wächst ja von selbst. Doch bei genauerem Hinschauen bietet sich ein anderes Bild. Dieses Gleichnis Jesu ist keine Einladung zur Untätigkeit, vielmehr umreißt es mit wenigen Strichen eine Lebensweise, die Raum eröffnet für das Wachsen und die Erfahrung des Reiches Gottes.
Wie sieht diese Lebensweise aus? Was kennzeichnet die Haltung des im Gleichnis beschriebenen Menschen?
Dieser Mensch tut das, was jeweils dran ist:Das ist zunächst einmal das Säen des Samens auf seinen Acker, das notwendig ist, damit der Wachstumsprozess in Gang kommt. Dann aber muss er diesen Prozess geschehen lassen, ohne ihn beschleunigen und kontrollieren zu können, ohne ihn zu stören – etwa durch ungeduldigen Aktivismus rund um den Acker. Dies ist alles andere als einfach, denn wie gerne würden wir in Prozesse eingreifen, sobald sich etwas nicht so entwickelt wie von uns erwartet und erhofft!Wenn in dem kurzen Gleichnis-Text Erwähnung findet, dass der Mann schläft und wieder aufsteht, dann scheint dies für den Prozess irgendwie bedeutsam zu sein. Für mich spiegelt sich darin eine natürliche Lebensordnung, der dieser Mensch sich überlässt und in der er gegenwärtig ist: er schläft, er steht wieder auf, er isst, er trinkt, er geht den je anstehenden Notwendigkeiten und Pflichten nach, er findet Phasen der Entspannung, er wird anderen begegnen und auch wieder alleine sein … Mit anderen Worten: er lebt sein Leben hier und jetzt mit dem, was jeweils dran ist. So wie es im Text klingt, scheint er in alldem bei sich zu sein, scheint in dem zu sein, was er gerade vollzieht. Und in dieser Präsenz merkt er, was jeweils ansteht.So bemerkt er auch, wann die Zeit der Ernte da ist und ist zur Stelle, um die Sichel anzulegen – in großer Schlichtheit und Klarheit.
Dieser Mensch nimmt wahr und würdigt, was ist: Er nimmt die Anzeichen des Wachstums wahr: den Halm, die Ähre, das Korn in der Ähre. Dieser Mensch schaut also hin und sieht, was geschieht. Er kann sich öffnen für das, was wirklich ist, anstatt besetzt und behindert zu sein durch alle möglichen Gedanken, Erwartungen, Vorstellungen …So nimmt dieser Mensch auch wahr, dass es Nacht und Tag wird, das Kommen und Gehen im Ablauf des Lebens also, den Wechsel von dunklen und hellen Stunden, von schweren und beglückenden Erfahrungen. In diesem Wahrnehmen von Nacht und Tag scheinen Einverständnis und Gleichmut auf – vielleicht in dem inneren Wissen, dass das Wesentliche tiefer liegt als auf der Ebene wechselnder Erfahrungswirklichkeiten.
Dieser Mensch hält Spannungen aus: Er muss damit leben, dass er gesät hat und erst einmal lange nichts sieht, dass er nicht weiß, ob und wie der Samen aufgeht. Er ist angewiesen auf die Ernte, aber das Wachsen und Reifen der Frucht kann er nicht machen. Die Witterung kann er nicht beeinflussen. All das entzieht sich seiner Kontrolle. Über lange Zeit muss er also aushalten, dass das Ergebnis seiner Aussaat vielfach bedroht ist. Seine Leistung liegt im Dabeibleiben. Er kann nur geduldig ausharren, sich den zugemuteten Spannungsfeldern stellen und sich da sein lassen mit allem, was ist.
Dieser Mensch überlässt sich dem Geheimnis: Er weiß nicht, wie das Keimen und Wachsen der Saat vor sich geht, aber er vertraut sich diesem Geheimnis an, dass letztlich alles da ist und Entwicklung und Wachstum geschehen, wenn wir uns überlassen: dem Leben hier und jetzt und dem göttlichen Grund aller Wirklichkeit, der Liebe ist.
Vielleicht können wir uns gerade in der vor uns liegenden Sommer- und Urlaubszeit zu einer solchen kontemplativen Lebenshaltung einladen lassen, wie sie im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat aufscheint. Das jedenfalls wünsche ich uns von Herzen!