Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2018
In diesem Advent beschäftigt mich, dass Jesus draußen auf dem Feld geboren wird, außerhalb des Bezirks der Menschen. Jesus wird sein ganzes Leben „draußen“ leben, „in der Welt“ zwar, aber nicht „von der Welt“. Vom System dieser Welt wird er erst beargwöhnt, dann abgelehnt, schließlich zum Tod verurteilt. Er stirbt draußen, vor den Toren der Stadt.
Um die Bedeutung von Geburt und Leben Jesu außerhalb des Systems der Welt mehr zu verstehen, schaue ich in mich selbst, auf das Grundgefühl, das ich – besonders nach Phasen mit viel Stress – habe, und das auch andere so ähnlich kennen, wie ich aus vielen Gesprächen weiß. Es scheint ein Mix zu sein von Unzufriedenheit, Erschöpfung und dem Gefühl, irgendwie mich selbst ein Stück weit verloren, zumindest verraten zu haben. Ich lebe in der Welt und verstricke mich immer wieder in den Dynamiken, mit der sie auf mich einwirkt: Vorstellungen, wie ich sein und mich fühlen, was ich haben und erreichen sollte, müsste, könnte gewinnen Macht über mich. Unversehens treiben sie mich an. Auch wenn ich derart angetrieben manche Erfolge erzielen kann, ist da ein Empfinden, so getrieben nicht sein und leben zu wollen, ja in dieser Ausrichtung „schief gewickelt“ zu sein und wie gefangen. „Sünde“ nennt das die Schrift. Wonach ich mich sehne, was ich sein will, liegt draußen, jenseits meines Systems: ein Leben in Liebe und Unmittelbarkeit, in Freiheit und Einheit mit mir selbst – unvergänglichen Werten, für die Jesus steht. Wie kann ich sie in meinem Leben mehr zur Geltung bringen?
Maria und Josef zeigen uns, auf welchem Weg die Verlagerung des Lebensschwerpunktes nach draußen stattfindet. Sie haben sich auf das eingelassen, was in ihrem Leben auf sie zugekommen ist – bei Maria ihre ungeplante Schwangerschaft, bei Josef die unerwartete Schwangerschaft seiner Braut – und haben es durchlebt. Auf einem solchen Weg kann die Wirklichkeit immer unverstellter und unverzerrter zu Bewusstsein kommen, wenn dieses bereit ist für die Wahrheit. Wenn das, was ist, wie es ist, bei einem Menschen angekommen ist, macht es ihm Teile seines Lebensfundamentes bewusst und entlarvt sie als Illusionen und Zielverfehlungen. So hatte Josef die Vorstellung, sich seiner schwangeren Braut zu entledigen. Im Traum ergeht an ihn jedoch der Ruf, seine Vorstellungen zu lassen, nicht seine Braut. Wer den Ruf vernimmt, zu lassen, wo er oder sie schief gewickelt ist, und diesem Ruf vertraut, der gerät nach draußen, der kommt am Stall an, demütig geworden, fähig zu empfangen und zu danken. Ja, er selbst wird zum dürftigen Stall, in den das göttliche Kind geboren wird: neues Leben wird ihm geschenkt.
Was also als Notlage und Krise beginnt, birgt die Chance in sich, als selige Verwandlung des Selbst zu enden. Gott führt uns durch das, was uns in unserem Leben begegnet, auch in Krisen und Nöten. Dieser Meinung ist jedenfalls der eingeborene Haushofmeister Farah in Tania Blixens Buch „Jenseits von Afrika“. Als die Plantage brennt und seine Chefin alles verliert, weckt er sie mit den Worten: „Stehen Sie auf, Memsahib, Gott kommt!“
Ja, es gibt diese Entwicklung im Leben des Menschen heraus aus der Welt und ihrem Bann. Doch gleichzeitig bleibt die Spannung des „in der Welt“ – nicht „von der Welt“ bestehen. Und es bleibt die Aufgabe, diese zu bewältigen bzw. das Scheitern daran immer wieder zuzulassen und durch es hindurchzugehen, um es so fruchtbar für die ewigen Werte zu machen und der Welt doch ein wenig mehr „abzusterben“. Abzusterben – bis schließlich Bruder Tod den Kampf beendet und unseren Lebensschwerpunkt grundlegend verlagert dorthin, wo das Wunder der Weihnacht uns endgültig zu uns selbst befreit und in Liebe erstrahlen lässt.