Bertram Dickerhof SJ, März 2015
Der Kern der Lebens- und Meditationsweise im Ashram Jesu besteht im Standhalten bei dem, was ist, sei es angenehm oder unangenehm. Doch stoße ich immer wieder darauf, dass dieser Kern sich nicht leicht erschließt. Das ist nicht verwunderlich; ist er doch dem üblichen Verhalten entgegengesetzt.
Wenn uns etwas aufregt, positiv oder negativ, geraten wir in Spannung, und sofort entsteht der Wunsch, die Spannung möge sich auflösen, erst recht, wenn sie mit Gefahr und Angst verbunden ist. Wie alle Säugetiere fliehen auch wir dann oder greifen an (oder, wenn gar nichts mehr hilft, stellen wir uns tot und machen uns fühllos).
Standhalten heisst nun, bei der Spannung und ihrer Ursache, jedenfalls bei dem, was ist, in Sichtweite stehen zu bleiben; also weder aus der Gefahr zu fliehen, z.B. durch Ablenkung (beim Sitzen: indem man sich auf etwas anderes konzentriert oder die Meditation abbricht), noch anzugreifen, durch irgendwelche Aktionen die Ursachen der Spannung wegzuschaffen (beim Sitzen: durch ein wenig Herumzappeln oder Nachdenken über die Situation). Bei der Spannung stehen zu bleiben heißt, nahe genug dran sein, um sie zu spüren und damit auch die Gefühle, die sie auslöst: ich habe dann Angst oder Freude oder Wut, bin aber nicht damit identifiziert , gehe nicht darin auf oder unter, himmelhoch zu jauchzen oder zu Tode betrübt von den Gefühlen überschwemmt zu werden. Die Spannung ist dann zwar ein Teil der Person, sie hat sie, aber sie ist nicht ganz und gar diese Spannung.
Zu realisieren ist ein solches Standhalten in der Weise, wie im Ashram Meditation geübt wird, nämlich durch Verweilen in der Wahrnehmung: der Meditierende nimmt die Spannung wahr, er spürt sie. Insofern er aber im Wahrnehmen verweilt, steht er der Spannung, dem Objekt seiner Wahrnehmung, als wahrnehmendes Subjekt gegenüber: er spürt sie, aber er ist sie nicht.
Der Buddhismus lehrt, bei der Meditation gleichermaßen Angenehmes wie Unangenehmes auszuhalten. Das Evangelium spricht von „Selbstverleugnung und Kreuztragen” und meint damit nicht den Alltag des Hörens, in dem das Leben gelebt werden soll.
Das ist ein langer Weg. Auch die Jünger im Evangelium müssen ihn erst lernen. Dabei genügt guter Wille allein nicht: die Festnahme Jesu schwemmte die Jünger einfach hinweg, entgegen ihrem festen Vorsatz; sie mussten fliehen.
Wieso das Standhalten gelernt werden soll? Lernt man es nicht, dann wird das eigene Leben immer mehr von Angst beherrscht und die Straße, auf der es einhergeht, immer enger, bis sie an einer undurchdringbaren Wand endet. Das ist aber zugleich die Lernchance schlechthin für denjenigen, der sich seiner Vermeidungsstrategien bewusst ist. Denn nun, an der Wand, wo die bisherigen Strategien offenkundig gescheitert sind, bleibt ihm noch das Standhalten, das er bisher gescheut hat. Nutzt er diese Chance, wird er merken: nicht alles, was die eigenen Vorstellungen enttäuscht, ist schlecht; nicht in allem, wo Tod draufsteht, ist tatsächlich Tod drin, sondern das wahre Leben.