Bertram Dickerhof SJ, April 2022
Schon der Ausbruch der Corona-Pandemie hat uns irritiert. Plötzlich ging nicht mehr, woran man ein Leben lang gewöhnt war: der morgendliche Weg ins Büro; planen, wie man will, und reisen, wohin man will; kulturelles Leben. Die Auffassung vom Dasein, die viele Jahre in der Luft lag, nämlich ein bequemes Leben zu führen, das man nach dem eigenen Geschmack gestalten und genießen kann, erhielt Dellen. Dann kam die Regenkatastrophe, die Ahr- und Erfttal zerstörte und 180 Menschen in den Tod riss …, ein Vorgeschmack der Klimakatastrophe. Nun ein brutaler Krieg in unserer Nachbarschaft mit Verknappungen, steigenden Preisen, Einbußen an Wohlstand und den bangen Fragen, ob wir, um Putin zu stoppen, nicht mehr Verzicht üben sollten, bzw., ob wir in einen Krieg hineingezogen werden, der am Ende zu einem atomar geführten 3. Weltkrieg wird. Die Bilder aus der Ukraine haben für einen Moment die gängige Überzeugung in Frage gestellt, dass es immer nur die anderen sind, die sterben, und es einen selbst höchstens am Ende trifft, einem Ende, das ganz weit weg ist. Vielleicht ist dieses Ende doch näher als man meinte? Wars das dann mit dem Leben? Ein kurzes Intermezzo …, bestehend aus Hasten nach Befriedigung und Sich-Mühen, Not und Verlust zu vermeiden; beides letztlich vergeblich, da man ja auf jeden Fall drankommt mit Leiden und Sterben. Da beginnt vor knapp 14 Milliarden Jahren ein Universum. Es entwickelt sich. Es entsteht Leben, das schließlich seiner selbst bewusst wird. Und nach einem Nu verschwindet der zu sich erwachte Geist im Nichts? Absurd. Viele halten solche Fragen deswegen von sich fern.
Andere glauben an Ostern.
Angesichts der wachsenden Ablehnung seiner Botschaft und der Tötungsabsichten gegenüber seiner Person durch die Repräsentanten des jüdischen Volkes, entscheidet sich Jesus, alledem nicht auszuweichen, sondern sich ihm zu stellen. Er ahnt den Preis seines Standhaltens: Marter und Tod. Doch ist dieser Tod für ihn mit der Aussicht verbunden, nach drei Tagen aufzuerstehen (Mk 9,31), eine Überzeugung, die aus seinem tiefen Vertrauen stammt. Es war vor dem Paschafest. Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Die Stunde der Vernichtung seines irdischen Daseins ist für ihn die Stunde seiner Verherrlichung beim Vater: einem Gott, der das Universum entstehen ließ, um dem Menschen ewiges Leben zu verleihen. Diese Botschaft bezeugt Jesus mit seiner Existenz. Weil er auf diese Weise seinen Jüngern eine den Tod umfassende Sinnperspektive gibt, ist sein Zeugnis zugleich Tat der Liebe: Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung (Joh 13,1f). Die Jünger bestätigen Jesu Lebenszeugnis. Petrus sagt an Pfingsten über ihn: Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt; denn es war unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde. … Zur Rechten Gottes erhöht, hat er vom Vater den verheißenen Heiligen Geist empfangen und ihn ausgegossen, wie ihr seht und hört. (Apg 2,24.33). Menschen, die etwas von der Würde, Erhabenheit und Zukunft spüren, die die Auferstehung Jesu ihnen eröffnet, verstehen sich als „herausgerufen” aus der Vielzahl derer, die keine Hoffnung haben, und bilden „Ecclesia” , die Kirche.
Wie kommen die verängstigten, durch den Tod Jesu in ihren Messiashoffnungen enttäuschten Jünger zu einem öffentlichen Auftreten mit der Botschaft, dass der nach dem Gesetz verfluchte Jesus zur Rechten Gottes erhöht sei? Eine Botschaft, die ihre Mitwelt vor den Kopf stößt und die Führer des Volkes anklagt? Die Jünger vollziehen, was Jesus tat: sie nehmen ihr Kreuz auf sich. Nach ihrer Flucht bei der Verhaftung Jesu sind sie in den Evangelien von der Bildfläche verschwunden. Es ist nichts mehr zu tun für sie, und so entsteht jener Raum der Stille und des Innehaltens, in dem sie ihrer selbst innewerden und sich ihren Gefühlen stellen müssen und können. Was immer die Grenze, die das Schicksal Jesu auch ihrem Leben setzt, ihnen zu durchleben aufgibt, sie durchleben es – und tragen so das Kreuz, das das Leben in ihren Weg gestellt hat. Sie leiten nicht durch Aktionismus die Spannung ab, in der sie stehen, sondern lassen diejenigen ihrer Vorstellungen los, die der sich enthüllenden Wahrheit im Wege stehen. Solcher Art vorbereitet, begegnet ihnen der Auferstandene. Er ist derjenige, auf den hin sie geschaffen sind. Sie verstehen, dass Grund und Kern ihrer Existenz das verborgene Geheimnis aller Wirklichkeit ist, Gott. Und dass der Mensch dazu bestimmt ist, im Geist der Liebe zu wandeln und zu handeln und ewig in ihr zu sein. Da löst sich etwas in ihnen und öffnet sie: aus Angst wird Frieden, aus Schuld Versöhntheit, aus Feigheit Freimut.
Durchleben der Grenzsituationen, die das Leben bringt, an denen es uns zur Zeit nicht fehlt, Loslassen der eigentümlichen Vorstellungen und Zielsetzungen, die der Wirklichkeit der Grenze widersprechen: der Ort dafür ist die tägliche stille Meditation. Durch sie wächst die Zuversicht, dass das irdische Leben der im Vertrauen zu bewältigende Beginn einer ewigen Zukunft ist, und nicht ein Katze-und-Maus-Spiel des Todes mit hierhin und dorthin irrenden Menschen, die jener früher oder später doch alle frisst. Darüberhinaus befreit die Meditation dazu, eine gegebene Situation den Tatsachen entsprechend zu erkennen und (sach- und personen-) gerecht zu handeln. Eben weil der Tod nicht das letzte Wort hat! Nie war Ostern bedeutungsvoller als in Zeiten wie den unseren.