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Lotus und Kreuz

Bertram Dickerhof SJ, September 2015

Lotos und Kreuz sind Symbole für das Buddhistische resp. Christliche. Der Lotos, die einzige Gattung einer Pflanzenfamilie und damit einzigartig, liegt in seiner schlichten, reinen Schönheit auf dem Wasser. Das Wasser benetzt ihn, doch perlt es von ihm ab, so dass die Blätter des Lotos stets sauber bleiben. Er symbolisiert damit die Weise, wie der Erleuchtete durchs Leben geht: erhaben thront er auf den Wassern des Lebens und Leidens, die an ihm abperlen. So passt der Lotos gut in unsere Wohnzimmer, – solange zumindest, bis man sich daran erinnert, dass seine Wurzeln im Sumpf stecken: ein Sumpf, den die Pflanze weder verlassen noch trockenlegen kann; den sie braucht, um leben und ihre ganze Schönheit entfalten zu können; ein Sumpf, in den sie immer mehr hineingehen muss, um zu wachsen und zu gedeihen.

Diesen zweiten Gedanken bringt das Kreuz radikal zum Ausdruck: der Sumpf des Lebens, das Durchkreuzende, wo es einfach nicht klappt, wie man es sich wünscht oder vorstellt; wo Durststrecken und Belastungen zu bewältigen sind; wo Störungen hinzunehmen sind, seien sie familiärer, beruflicher oder politischer Art. Das Kreuz ist das „X” im Leben, das uns letztlich mit dem Tod konfrontiert. Und wie beim Lotos, der nur im Sumpf blühen kann, lautet auch die Aufforderung des Kreuzes (Christi), das Störende zunächst einmal zuzulassen und daseinzulassen; m.a.W.: es zu hören – nicht nur in Form eines Registrierens, sondern so, dass das Störende im Bewusstsein anwesen und das Alltagsleben begleiten darf: so lernt man es kennen, – nur so. Das Durchleben der Spannung ermöglicht Unterscheidung: der Horizont öffnet sich auf das Ganze hin und man findet seine Wahrheit und seine Verantwortung hier und jetzt heraus; so integriert sich die Botschaft des Störenden ins gelebte Leben – und führt dessen Blüte neuen Saft zu.

Soweit haben Buddhismus und Christentum also ähnliche Intuitionen. Doch was entspricht der Schönheit und Erhabenheit der Lotosblüte im Christlichen? Dem Symbol des Kreuzes mangelt jeder Anhaltspunkt für die als Frucht eines durchgetragenen Kreuzes bisweilen im Leib erfahrbare Einfachheit und Integriertheit und Gegründetheit und Freude des Erlösten. Oft genug bleiben solche Wirkungen auch aus, kein Lotos blüht, sondern zeitlebens bleiben Traumatisierung, Sinnlosigkeit und Untergang. Das das Christliche symbolisierende Kreuz verspricht keine innerweltliche Blüte. Und dennoch: Das Christliche könnte nicht ein Marterinstrument wie das Kreuz als Symbol der Erlösung ansehen, wenn aus dem Annehmen des Kreuzes im Alltag allein Untergang erwüchse. Die Botschaft des Kreuzes als Symbol ist, dass seine Erlösung und sein Heil gerade nicht abbildbar sind, da sie zwar real und erfahrbar, doch anders wirklich „sind” als alles, was wir als unsere Welt kennen. Karl Rahner sprach in diesem Zusammenhang immer wieder vom Sturz in den dunklen Abgrund, der das unbegreifliche Geheimnis Gottes „ist”.