Bertram Dickerhof SJ, September 2017
Vom 13.-19. Januar 2018 bot der Ashram Jesu wieder einmal ein gruppendynamisches Training an. Dazu ein paar allgemeinere Bemerkungen:
Die Gruppendynamik wurde von Levin nach 1945 bei einem Demokratie-Seminar in den USA „entdeckt”, als er zufällig auf die Wirksamkeit von Feedback für Gruppen stieß, und daraufhin begann, Feedback als wichtige Methode sozialen Lernens zu nutzen. Heute steht das Wort „Gruppendynamik” sowohl für diese Methode sozialen Lernens als auch für einen Forschungsbereich der Sozialpsychologie, der sich mit den Dynamiken einer Gruppe beschäftigt, also den Kräften, die in jeder Gruppe wirken. Wer diese nicht meistern kann, der wird von ihnen bemeistert.
Gruppendynamik ist eine basale Methode: sie betrachtet eine Gruppe als System, nicht nur als Ansammlung von Einzelnen; sie hat Ansätze der Aktionsforschung in sich aufgenommen – es geht um (Sprech-)Handeln in der Gruppe – sowie der Encounter Bewegung – „hier und jetzt”-Prinzip, Fokussierung. Ihrerseits ist sie der Mutterboden für die bekannte Themen-Zentrierte-Interaktion (TZI), für Gruppentherapie in ihrer heutigen Form und den Umgang mit den Dynamiken in Organisationen.
Sich in einer Gruppe zu bewegen, sei es als Teilnehmer, sei es als Leiter, ist nicht durch Theorie allein zu lernen: Es bedarf des Trainings – und damit Mühen und Frustrationen, wie sie auch aus dem Sport bekannt sind. Themen, die in jeder Trainings-Gruppe (TG) eine Rolle spielen, sind z.B.: Anfangssituationen; was ermöglicht bzw. verhindert Leitung; welche Strukturen bedingen welche Prozesse?; verstehen, was das so oft gebrauchte Wort „Prozess” überhaupt bedeutet; die fundamentale Bedeutung von Zugehörigkeit, Macht und Nähe und natürlich die persönlichen Hemmnisse, die es einem Teilnehmenden schwer machen, in seiner Gruppe zurecht zu kommen, also sich einbringen, sich frei und spontan äußern zu können, von anderen verstanden zu werden, Einfluss auszuüben und als Person gehört und wahrgenommen zu werden. Die Gruppe bei Grundübungen im Ashram, die ja manche von Euch kennen, ist keine klassische TG; sie würde etwa als Resonanzgruppe bezeichnet werden.
Bei Trainings im Ashram hat sich bewährt, abends und morgens zu meditieren (wer möchte) und vom Abendessen bis zum Frühstück zu schweigen. Tagsüber, sowohl in den formellen Seminarteilen, als auch in den übrigen Sunden, im sog. informellen Bereich also, ist Sprechen nicht nur „erlaubt”, sondern notwendig und gewünscht.
Für mich persönlich war es ein großes Glück, die Gruppendynamik kennen gelernt zu haben. Sie hat mir geholfen, handlungsorientierter, spontaner und direkter zu werden, Konflikte einzugehen, statt sie zu umschiffen, und nicht nur die Worte des anderen zu hören, sondern ihm „mit dem dritten Ohr” zu lauschen. Sie hat meine Angst vor Gruppen gemindert und mir gezeigt, wie die Leitungsrolle wahrgenommen werden kann. Und, ganz wichtig: sie hat mich persönlich nachreifen lassen: ich stieß auf Themen und konnte mich mit ihnen auseinandersetzen, die in meiner Entwicklung zu kurz gekommen waren, weshalb Ängste meine Freiheit fesselten. Für mich als späteren Seminarleiter war Gruppendynamik unabdingbar. Ich habe deswegen, wie auch Petra Maria, die ganze lange Ausbildung zum ausbildungsberechtigten Trainer für Gruppendynamik im entsprechenden Fachverband (DGGO= Deutsche Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsdynamik, früher eine Sektion des DAGG) durchlaufen. Eine Ausbildung, die ich, wie viele andere Kollegen, als die fruchtbarste im Reigen aller praxisbezogenen Ausbildungen empfunden habe. Dennoch: an Gruppendynamik muss man Lust finden; vielleicht ist sie nicht jedermanns und -fraus Sache. Und eine gewisse psychische Belastbarkeit ist nötig. Was sie jedoch auf persönlicher und beruflicher Ebene lehren kann, ist so wertvoll, dass sich ein Versuch mit ihr lohnt, auch wenn dieser Schatz mit einem einzelnen Training allein nicht zu heben ist.