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Die Hände von Barlachs lehrendem Christus

Petra Maria Hothum SND, Januar 2021

Auf der Suche nach einem Foto für diesen Newsletter blieb ich – ganz anders als erwartet – bei dem obigen Ausschnitt einer Christus-Skulptur von Ernst Barlach hängen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie diese Darstellung mich bei einem Besuch in Güstrow in ihren Bann gezogen hat – ebenfalls ganz unerwartet, denn mein Interesse und meine Suche galten damals vor allem einem anderen Werk des Künstlers. Doch diese offen hingehaltenen Hände haben mich regelrecht gefunden, und die schlichte Präsenz des „Lehrenden Christus“, wie Barlach diese Skulptur nennt, hat mich unmittelbar berührt. „Lehrender Christus“ – Was für ein Lehrer ist das, der mir da begegnet? Was kann ich von ihm lernen? Was sagen mir allein schon seine Hände? Was können sie uns vielleicht gerade in diesen schwierigen, unwägbaren Zeiten sagen? Was kann ihre Botschaft sein für dieses Jahr, an dessen Anfang wir noch stehen?

Diese Hände sind offen und leer: sie halten weder Schriftrolle noch Programm, halten sich nicht fest an Ideologien, Reichtümern, Machtmitteln …, sie setzen sich einfach aus …

Diese Hände können sich öffnen für das, was ist: sie empfangen, nehmen auf, lassen da sein, was ist und wie es ist; sie müssen nichts abwehren, aussortieren, geradebiegen …; sie lassen sein, lassen sich selbst sein …

Diese Hände können verweilen: sie vermitteln Ruhe und Gelassenheit, sie können dem Raum und Zeit geben, was sich von innen her langsam entwickeln und zeigen will; sie sind bar jeder überstürzten Geschäftigkeit, sind weder mahnend noch kämpferisch erhoben …

Diese Hände geben, was sie selbst empfangen haben: sie lassen Übergebenes weiterströmen, stören nicht den organischen Fluss und halten nichts ängstlich zurück; vielmehr halten sie Anvertrautes einfach hin, bieten letztlich sich selber dar …

Diese Hände sind frei und lassen frei: sie wollen nichts krampfhaft festhalten, nichts um jeden Preis durchsetzen, nichts gewaltsam erzwingen …; geöffnet für Begegnung, laden sie unaufdringlich ein – verbindlich und absichtslos zugleich; ihre Stärke liegt in ihrer Sanftheit …

Diese Hände sind zugewandt in Liebe: sie sagen: „ICH BIN DA!“ – ungeschützt und wehrlos, ohne gönnerhaftes Gehabe und großes Gebaren, sondern in schlichter, zugewandter Geste, die offener, demütiger und liebevoller nicht sein könnte …

Das Betrachten der Hände des „lehrenden Christus“ bringt in mir vielerlei Schriftworte zum Klingen, vielleicht geht es Euch und Ihnen ähnlich …! – Hier nur zwei solcher „Anklänge“: „Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden … Kommt alle zu mir …! Lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele“, so lädt Jesus im Matthäusevangelium (11,27-30) die Menschen ein.Und der Prolog des Johannesevangeliums (1,16) sagt über ihn: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“

Mögen Seine Hände uns einladen, uns einzulassen auf die Lebens-Haltung des „Lehrenden Christus“, die sich in ihnen so eindrücklich zeigt. Mögen wir uns immer wieder öffnen, um innezuhalten und von IHM zu lernen, um aus Seiner Fülle zu empfangen … Dann können wir uns getrost dem stellen, was ist. Und dann kann dieses noch junge Jahr ein gesegnetes werden, wohin immer es uns führen und was immer uns darin begegnen mag!