Petra Maria Hothum SND, April 2019
In diesen Tagen und Wochen, wo es überall – auch um den Ashram Jesu herum – grünt und blüht, kommt mir immer wieder ein Satz aus dem Gedicht „Bitte” von Hilde Domin in den Sinn: „Der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.” Aber dennoch, wer würde das nicht gerne im Angesicht einer solcher Pracht und Fülle: den Blütenfrühling halten, die Schönheit, Buntheit und das Unverbrauchte des neu sprießenden Lebens bewahren, wohl wissend, dass der Weg zur Fruchtbarkeit und Reife nur über das Loslassen und Absterben der Blüten möglich ist.
Auch die Jünger Jesu hätten gerne die „Blüten” des galiläischen Frühlings gehalten: die unmittelbare Wirkkraft der Worte und Taten Jesu, die Berührtheit und Begeisterung der Menschen über sein Auftreten mit Vollmacht. Dies alles ließ in Jesu Anhängern die Hoffnung wachsen und keimen, „dass er der sei, der Israel erlösen werde” (Lk 24,21), wie es die Emmausjünger formulieren. Es ließ ein bestimmtes Bild des Messias in ihren Herzen Raum greifen, die Vorstellung, dass er der erwartete politische Retter sei, der macht- und kraftvoll das Volk aus der römischen Herrschaft befreien könne. Mit Jesu Leiden und Sterben wird diese Vorstellung endgültig zunichte, erweist sich dieses Messias-Bild als eine Illusion. So, wie die Jünger es sich gedacht und gewünscht hatten, verhält es sich nicht: nicht mit Jesus, nicht mit ihnen, nicht mit den Menschen und ihrer geschichtlichen Situation. Sie können den „Blütenfrühling” nicht halten, keiner bleibt verschont, sie alle bleiben vielmehr enttäuscht und resigniert zurück, denn ihre Hoffnung und ihre Vorstellung von Rettung und Erlösung ist gestorben. Sie hat sich als Täuschung erwiesen, die im Tod Jesu ent-täuscht wird.
Der Fortgang jedoch macht deutlich, dass das Ende dieser Täuschung nicht ein absolutes Ende ist. Im Wahrnehmen, Aushalten und Durchleben der enttäuschenden Wirklichkeit eröffnet sich den Jüngern eine ganz neue – zuvor völlig unvorstellbare – Lebensperspektive: die Erfahrung des Auferstandenen, der ihr eigenes Leben in der Tiefe berührt und neu und tiefer gründet.
„Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?” fragt der Auferstandene die Emmausjünger und eröffnet ihnen damit einen neuen Horizont, in dem ihr enttäuschtes Herz wieder zu brennen beginnt und langsam dafür bereitet wird, dass ihnen schließlich die Augen aufgehen und sie IHN erkennen.
Auch uns selbst müssen immer wieder die Augen geöffnet werden, wenn wir mit Enttäuschendem in unserem Leben konfrontiert werden: die Wirklichkeit zeigt sich anders als von uns erhofft und geglaubt, ein Bild von uns selbst, von anderen, von einer Beziehung, einer Situation … erweist sich als Illusion, als Täuschung. Die Tendenz, sich dann resigniert zurückzuziehen oder mit aller Kraft anzukämpfen gegen die enttäuschende Wirklichkeit, kann uns in uns selbst verschlossen halten. Manchmal aber wird es uns geschenkt, eine solche Wirklichkeit an uns heranlassen und durchleben zu können mit all ihren Facetten, besonders den unangenehmen und schmerzlichen. Auf diesem mitunter langen und schwierigen Weg kann sich auch uns eine neue Perspektive eröffnen. Wir können die Enttäuschung als das Ende einer Täuschung begreifen, kommen mehr in Kontakt mit unserer Tiefe, gelangen zu einem Einverständnis mit dem, was ist und wer wir in Wahrheit sind. Und vielleicht dürfen wir auf dem Grund von allem einer Liebe begegnen, die alles umfängt und fruchtbar werden lässt.
Ich wünsche uns die Offenheit für solche wahrhaft österlichen Erfahrungen, die Freude am Blütenfrühling, ohne ihn halten zu wollen. Und die Hoffnung und Zuversicht, dass unser Leben im Loslassen und Durchleben dessen, was uns jeweils gegeben und zugemutet ist, tiefer gegründet und fruchtbar werden kann.