Petra Maria Hothum SND, Juni 2019
In diesen Wochen bleiben Besucher des Ashram Jesu immer wieder einmal staunend vor der Rosenpracht in unserem Innenhof stehen. Ein wunderbares Bild bietet sich, wenn beim Eintreten durch das Hoftor die verschiedenen Rosenstöcke und –ranken in der Vielfalt ihrer Farben und Farbnuancen in den Blick kommen und die ganze Fülle sichtbar wird. Zwar sind einige der Rosen bereits verblüht und ihre abgefallenen Blütenblätter bilden einen Teppich auf dem Boden, doch zugleich öffnen sich immer neue Knospen. Es tut sich ein wirklicher Reichtum auf, eine geradezu verschwenderische Fülle. Diese Fülle gilt jedoch nicht nur im Blick auf die Gesamtheit der Blumenpracht, sondern auch im Detail. Immer wieder geht es mir so, dass ich auf eine einzelne Rosenblüte zugehe, davor stehenbleibe und mich im Blick auf diese eine Blüte oder in diese hinein fast verliere: staunend stehe ich vor der Komplexität ihres Innenlebens, vor dem wunderbaren Arrangement, der Besonderheit und Eigenart, die sich mir jeweils zeigt. Egal ob leicht erst geöffnet, ganz aufgeblüht oder bereits im Verblühen begriffen, egal ob eher spartanisch oder mit einer Unzahl von Blütenblättern ausgestattet, egal in welcher farblichen Gestaltung: jede Blüte hat ihre ganz eigene Schönheit und Würde, und es scheint angemessen und tut gut, dieser jeweils Raum zu geben und sie zu würdigen.
Der Blick ins Innere einer Rosenblüte zieht nach innen, lässt innehalten und fragen nach dem eigenen Inneren. Mir fallen Worte von Rumi, einem islamischen Mystiker, ein: „Im Innern deines Leibes ruht ein kostbarer Schatz … Wenn du den großen Schatz zu finden trachtest, … blicke in dich hinein und suche ihn“. Diese Einladung, ins eigene Herz zu blicken, findet sich in seinen Texten in Variationen immer wieder. Doch nicht nur dort, sondern in den verschiedensten spirituellen Traditionen der Religionen ist es eine zentrale Weisung auf dem spirituellen Weg, bei sich selbst einzukehren und sich dem eigenen Inneren zuzuwenden. – Allerdings: so einfach wie der Blick ins Innere einer Rose ist dies nicht! Zwar gibt es in uns eine Sehnsucht nach diesem Bei-sich-Sein, diesem Kontakt mit sich selbst, aber es gibt zugleich auch den Widerstand dagegen, die Tendenz sich zu zerstreuen und an der Oberfläche und im Vielerlei hängenzubleiben.
Neben einigen anderen Hilfen auf dem Weg nach innen, wie etwa dem schweigenden, achtsamen Dasein und der Meditation, wird hier im Ashram Jesu immer wieder auch die Gruppe als wichtige Unterstützung erlebt: zwar seinen eigenen Weg zu gehen, aber ihn nicht alleine gehen zu müssen, mit anderen zur gleichen Zeit und im gleichen Raum zu meditieren und vor allem auch, von anderen zu hören, was sie auf ihrem Weg bewegt und Resonanzen zu bekommen auf eigene Mitteilungen hin. Das ist etwas sehr Kostbares. Im Austausch in der Gruppe kann manchmal Ähnliches geschehen wie beim Blick auf das Innere einer Rosenblüte: ehrfürchtiges Wahrnehmen und Angezogen-Werden, wenn etwas von der Farbe und „Beschaffenheit“ des Inneren einer Person aufleuchtet, etwas von der Vielfalt ihrer Wirklichkeit hier und jetzt sichtbar wird. Es gibt echtes Mitleiden mit Nöten und Grenzen, an die der andere stößt, aber auch staunendes Verweilen und tiefe Mitfreude dort, wo Entwicklung, wo ein Durchbruch geschieht zu mehr Selbst-Kontakt und Lebensfülle und wo einen das Geheimnis aller Wirklichkeit unmittelbar berührt.