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Das Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus

Bertram Dickerhof SJ, September 2021

Viele Menschen spüren, dass wir in einer Zeitenwende leben. Die extreme Hitze der zurückliegenden Wochen in Griechenland und der Türkei, die heftigen Waldbrände in Süd-Europa, Australien, Amerika, das anhaltend unbeständige Schmuddelwetter der letzten Wochen hierzulande, die Flutkatastrophen vor allem an Ahr und Erft, gewissermaßen vor unserer Haustür, mit schrecklichen Toden und schlimmen Bildern der Verwüstung, haben aus einer abstrakten Umstellung der fossilen auf erneuerbare Energieträger die bedrückende Perspektive gemacht, in Zukunft mit mehr und schlimmeren Extremwetterereignissen und ihren konkreten Folgen für sich selbst, seine Familie und sein Eigentum leben zu müssen. Dazu kommen Zweifel: ob denn die Menschheit überhaupt im Stande sein wird, die Erderwärmung einzuhegen, solange sie ihr maßloses Streben nicht bereut; ob der Westen, wie der Fall Afghanistan zeigt, so sehr in seiner Blase „freiheitlicher Lebensstil“ lebt, dass er den Boden der Realität unter seinen Füßen längst verloren hat …

Hinzu kommen „alltägliche“ Verunsicherungen: das Ende der Ära Merkel und die besorgte Frage, wie wir zukünftig regiert werden; Corona und kein Ende; zunehmende Migrationsbewegungen; Spaltungen der Gesellschaft, wachsende Spannungen zwischen USA, China und Russland …

Tatsächlich brennen nicht nur die Wälder, es brennt auch das Haus, in dem wir uns viele Jahre viele Wünsche erfüllen, vor vielem Unangenehmen flüchten konnten durch Konsum, durch Reisen … Als Brechts Welt von den Nazis in Brand gesteckt wurde, schrieb er das „Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus“:

Neulich sah ich ein Haus. Es brannte. Am Dache leckte die Flamme. Ich ging hinzu und bemerkte, dass noch Menschen drin waren. Ich trat in die Tür und rief ihnen zu, dass Feuer im Haus sei, sie also auffordernd, schnell hinauszugehen. Aber die Leute schienen nicht eilig. Einer fragte mich, während ihm schon die Hitze die Brauen versengte, wie es draußen denn sei, ob es auch nicht regne, ob nicht doch Wind ginge, ob da ein anderes Haus sei. Und noch so einiges.
Ohne zu antworten ging ich wieder hinaus. Diese, dachte ich, müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören.Wirklich, Freunde!
Wem der Boden noch nicht so heiß ist, dass er ihn lieber mit jedem andern vertauschte, als dass er da bliebe, dem habe ich nichts zu sagen.

Die Leute klammern sich an ihr Haus, wollen nicht wahrhaben, dass es verloren ist. Sie halten fest an dem, was zur Vernichtung bestimmt ist, und schlittern so in ihren Untergang.

Das Bild am Kopf dieses Newsletters ist das sogenannte „Saarpolygon“. Ich habe es während meines Urlaubs im Saarland aufgesucht: ich war ganz fasziniert davon. Das Polygon wurde auf der höchsten Abraumhalde des Saarlandes errichtet und ist wie eine Besiegelung des Endes von über 100 Jahren Kohle- und Stahlproduktion; man kann eben nichts mehr auf die Halde oben draufschütten. Das Polygon ist wie ein Tor, durch das der Weg in die Zukunft führt, gefertigt aus Stahl, dem Material der Vergangenheit, dem, was man hat und kann. Es ist ein windschiefes Tor, das nach vielen Richtungen passiert werden kann: die Zukunft ist zunächst offen und ungewiss. Aber immerhin verheißt das Tor eine Zukunft. Kohle- und Stahlarbeiter, die Opfer des Strukturwandels also, haben selbst die Treppenstufen des begehbaren Polygons gespendet: Somit ist es ein Zeichen des Sieges über Angst und Unsicherheit. Von der Höhe des Polygons herab hat man einen weiten Blick über das Land und dem Himmel darüber: ein Hauch von Offenheit und Ewigkeit rührt einen an, die jede Vergangenheit und Zukunft umgreifen und durchdringen und Gegenwart ermöglichen.