Petra Maria Hothum SND, März 2020
Vor einigen Wochen fand im Ashram ein Kurs statt, der sich mit der spirituellen Wegweisung des islamischen Mystikers Rumi beschäftigte. Bei aller Unterschiedlichkeit in Bezug auf das, was Einzelne zum Besuch dieses Kurses motiviert hatte, zeigte sich im Austausch direkt, dass der Kurstitel „Blick in dein eig’nes Herz!” eine besondere Anziehungskraft auf die Gruppe der Teilnehmenden ausübte. Diese Aufforderung Rumis rührt an eine tief menschliche Sehnsucht, in Kontakt mit sich selbst, mit dem eigenen Inneren zu sein und aus diesem auch leben zu können. Und zugleich lässt dieser Imperativ vermuten, dass der Blick ins eigene Herz wohl alles andere als selbstverständlich ist, längst nicht so naheliegend und unmittelbar, wie man es eigentlich meinen sollte. Ja, es scheint einfacher zu sein, sich im Außen umzusehen und sogar weite äußere Wege zurückzulegen, als den Zugang zum eigenen Inneren zu finden – so jedenfalls Erfahrungen, die in der Kursgruppe geäußert wurden. „Die längste Reise ist die Reise nach innen”, mit diesen Worten fasst auch Dag Hammarskjöld, ehemaliger UN-Generalsekretär und christlicher Mystiker, sein spirituelles Suchen und Leben zusammen.
Warum ist das so, warum stellt der Zugang zum eigenen Inneren einen so langwierigen und mühevollen Weg dar? – Ein wesentlicher Grund liegt sicher darin, dass das Äußere mit seinen Ansprüchen, Notwendigkeiten, Verlockungen und seiner oft geballten Macht sich immer wieder laut und fordernd meldet. Es drängt sich auf, bannt unsere Aufmerksamkeit und will bzw. muss auch Beachtung finden. Das Äußere verschafft sich unmittelbar Gehör, während das, was im Innern ist, normalerweise viel leiser und unscheinbarer daherkommt und in seinem An-Spruch oft nicht direkt zugänglich ist. Vielfach ist nicht so klar, was genau sich im eigenen Inneren regt, und es braucht Aufmerksamkeit und Zeit, geduldiges Hören und Abwarten, wieder und wieder, um zu merken, was sich da eigentlich zeigen und wohin einen dies bewegen möchte.
Entsprechend lädt eine anderes Wort Rumis ein: „Warte, bis du in dich selber blickst; erkenne, was dort wächst.”
Und der Dichter Rainer Maria Rilke drückt es folgendermaßen aus: „Man muss den Dingen die eigene, stille, ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann; alles ist austragen – und dann gebären … Man muss Geduld haben gegen das Ungelöste im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben …” (aus Rilkes „Brief an einen jungen Dichter«).
Warten, Geduld haben und den Dingen ihre Entwicklung lassen, das hört sich für viele wahrscheinlich nicht sonderlich attraktiv an. Es widerspricht unserer Tendenz zum Machen-Wollen, unserem Wunsch, die Dinge im Griff zu haben, sie schnell und erfolgreich abzuwickeln, für Problematisches umgehende Lösungen zu finden und bei Mangelndem prompte Abhilfe oder wenigstens Entlastung schaffen zu können. Mit dem Warten hingegen verbinden wir eher Passivität und untätiges Laufen-Lassen. Doch gemeint ist in den zitierten Worten etwas anderes, nämlich achtsames Dasein, Präsenz, geduldiges Verweilen bei dem, was jetzt ist. Leben in einer solchen Haltung bedeutet eine richtige Mühe, eine Arbeit, die jedoch nicht im Machen, sondern vor allem im Empfänglich-Sein und –Bleiben besteht. Dies beinhaltet auch das Aushalten bei Verschlossenem, Widerständigem, bei dem, was sich nicht auf die Schnelle klären und lösen lässt, Aushalten in Mangel, Spannung, Unbequemem und Unsicherem. So da zu sein heißt immer wieder auch, Erwartungen loszulassen und offen zu bleiben für das Unverfügbare. Auf diesem Weg öffnet sich der Zugang zum Inneren. Und der Kontakt damit hat Aus-Wirkungen. Aus ihm kann schließlich ein Handeln im Außen erwachsen, das nicht einfach Re-Agieren auf äußere Antriebe und Reize ist, sondern ein Agieren aus der Mitte der Person, aus einer persönlichen Geklärtheit und Verantwortung, die auch verantwortliche und tragfähigen Lösungen hervorbringen kann.